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Rachel ist süß (German Edition)

Rachel ist süß (German Edition)

Titel: Rachel ist süß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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selbstbewussten Geste aus dem Gesicht. „Wir müssen da wohl etwas Erziehungsarbeit leisten.“ Sie ließ mit einer weiteren Fingerbewegung ein Satellitenbild der Stadt auf dem Bildschirm erscheinen. „Sieht nach Regen aus, findet ihr nicht?“ sagte sie, blickte in die Runde der schönen, hellen Augen und lauschte den Stimmen in ihrem Kopf.
     
    Ich bin der Regen, der fällt
     
    und ich bin der Schnee.
     
    Ich bin der Sand, der rieselt
     
    und ich bin das tiefe Meer.
     
    Gib uns Zeit
     
    und wir formen die Welt.
     
    Entspanne dich und denke nach. Atme ein, atme aus. Iss eine Lakritzschnecke, kaue langsam, atme ein, atme aus, iss zwei Lakritzschnecken. Kendra lag mit geschlossenen Augen in der Mitte ihres Wohnzimmers auf dem Boden und versuchte sich mit einer Mischung aus Hatha Yoga und Haribo zu beruhigen. Um sie herum verstreut lagen ihre ausgedruckten Aufzeichnungen und die nach Formen sortierten Überreste aller Lakritztüten, die sie noch gefunden hatte. Die Schwaden zweier Duftkerzen, die sie schon im letzten Winter auf dem Weihnachtsmarkt gekauft hatte, waberten ziellos durch den Raum und in der ganzen Wohnung roch es deshalb für die Jahreszeit eine Spur zu festlich. In ihrem Kopf hörte Kendra die Realität wie eine zu dünne Eisschicht unter sich knirschen. Sie hatte den Begriff Fata Morgana (2.350.000 Einträge) durchs ganze Internet verfolgt und festgestellt, dass es in diesem Kulturzentrum eigentlich zu kalt für eine solche Erscheinung gewesen war. Es gab also nur zwei Möglichkeiten. Entweder die dunkle Frau war wirklich da gewesen oder sie hatte eine äußerst lebendige Wahnvorstellung gehabt. Eine äußerst lebendige und schöne Wahnvorstellung. Kendra bildete das Wort „schön“ aus den einzelnen Lakritzen und freute sich ein wenig darüber, dass ihr krankes Gehirn einen so guten Geschmack hatte. Wenn man schon Menschen sah, die nicht da waren, dann sollten sie doch wenigstens ein so angenehmer Anblick sein wie die Fremde. Und dieses Schimmern in ihrem Blick war wie ein kühlender Regenschauer über heißem Asphalt gewesen. „Lyrikgrundkurs mit 14 Punkten abgeschlossen!“, sagte Kendra laut und stolz zu einer der Duftkerzen. Und dieses Zeichen. Kendra fuhr sich mit der Hand über ihr Herz und malte das Dreieck langsam auf ihren Pullover. Die Haut unter den unsichtbaren Linien wurde so warm, dass sie versucht war, den Pullover zu heben, um nachzusehen, ob ihre Berührung dort ein sichtbares Mal hinterlassen hatte. Wie ein Gruß, dachte sie und öffnete die Augen ruckartig. Die Kerzen flackerten in einem unsichtbaren Luftzug. Sie hat mich gegrüßt. Mich allein. Ich habe also entweder eine ungewöhnlich höfliche Wahnvorstellung gehabt oder eine reale fremde, schöne Frau getroffen, die mich zu kennen glaubte. Schwer zu beurteilen, welche dieser Möglichkeiten wahrscheinlicher war.
     
    Alle Geschehnisse des Abends kamen Kendra hier auf dem Teppich im dichten Duftgemisch aus Spekulatius und Tannennadeln sowieso vollkommen unwirklich vor.
     
    Die Kellnerin hatte niemanden an der Tür lehnen sehen. Hatte sie behauptet. Und was war mit den betrunkenen Männern gewesen, hatte Kendra fast wütend gefragt. Die hatte die Kellnerin natürlich gesehen, hatte sie geantwortet, aber die hatten dann ja plötzlich gehen müssen. Kendra hatte sogar die Frau angesprochen, die den Raum beim Eintreffen der Männer verlassen hatte. „Hast du Hilfe geholt?“
     
    „Hilfe geholt? Ich war auf der Toilette.“
     
    Die anderen Frauen hatten sie schweigend und ein wenig feindlich angesehen und so war sie gegangen.
     
    Kendra, konzentrieren!, befahl sie sich laut, in der Hoffnung, dass eine Alliteration diesen Vorgang beschleunigen würde. Es musste doch irgendeinen einen Beweis für ihr Eingreifen geben.
     
    Für ihr Eingreifen?
     
    Mein Gott, war die Antwort einfach, wenn man die Frage kannte.
     
    Sie hatte sie gefunden! Die wirren Sturmbilder ihres übermüdeten Geistes mischten sich mit den Silhouetten der dunklen Fremden.
     
    Finde deinen Platz!
     
    Sie hatte sie gefunden und sie hatten mit ihr gesprochen. Auf eine eigenwillige und sehr beunruhigende Art hatten sie mit ihr gesprochen. Das unsichtbare Dreieck über ihrem Herzen fühlte sich jetzt wieder ganz warm an und ihr war nach viel mehr Lyrik zumute. Ein Dreieck am Himmel und ein Dreieck über ihrem Herzen. Ein warmer Regen über der Stadt.
     
    Finde deinen Platz!
     
    Kendra schlief mit einem glücklichen Lächeln ein.
     
    Sie konnte es kaum

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