Rachel ist süß (German Edition)
Vielleicht kann sie die Schweine für uns finden.“
Der Chefredakteur sah das dunkle Eis in Kendras Augen vor sich. „Ich fürchte, dass sie das nicht tun wird.“
„Dann drohe ihr, mein Gott, du bist ihr Chef, dir wird doch etwas einfallen.“
Der Chefredakteur wandte sich erneut aus dem klammernden Griff und schaute betont sachlich aus dem Fenster. „Ich wüsste da etwas, sichere Sache, ohne viel Aufsehen.“
„Und warum hast du das nicht schon veranlasst?“
„Es ist nicht ganz legal …“
Beide sahen sich einen Wimpernschlag lang an, dann fixierte der Chefredakteur wieder die Aussicht. Unten, auf dem schmalen Weg durch den Krankenhausgarten, schob eine alte Frau einen schlafenden alten Mann im Rollstuhl vor sich her.
„Ich habe da ein paar Kontakte zu Leuten, die es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen. Wenn die mal in ihrer Wohnung nachsehen, oder sie unauffällig ein wenig auf ihren nächtlichen Touren begleiten. Das wirbelt keinen unnötigen Staub auf. Die haben damals auch Ruth beschattet und ihrem schlappschwänzigen Liebhaber eine kleine Lektion erteilt.“
Er stockte, unterbrochen von dem unangenehmen Gefühl, dass ihn immer beschlich, wenn er an die düsterste Phase seiner Ehe dachte.
„Kostet natürlich eine Kleinigkeit.“
„Es ist mir völlig egal, was es kostet. Diese Suche ist meine Medizin, davon werde ich gesund. Und wenn ich diese Mörderbande gefunden habe, dann werden meine Schmerzen im Vergleich zu dem, was ich ihnen antun werde, wie ein Streicheln sein. Sie hätten mich töten sollen, als sie die Gelegenheit dazu hatten.“ Seine schrille Stimme passte erstaunlich gut zu dem zerschnittenen Gesicht, aus dem sie drang. Die blutigroten Lammstücke auf dem Bildschirm verschwanden zischend in heißem Öl.
Der Chefredakteur nickte ein wenig unbehaglich und ging.
Durch die leicht beschlagenen Scheiben ihres Wagens sah Kendra die ersten Tage des Winters vorbeiziehen, eingehüllt in ihre Gedanken und die warme Geborgenheit ihres Autos. Die Nacht war ihr Zuhause geworden. Diese Nacht genauso wie die vergangenen und kommenden. Wenn sie das Dreieck auf ihren ruhelosen Runden am Himmel sah, grüßte sie es wie einen neuen Nachbarn, den man interessant fand, mit dem man aber nicht recht zu reden wusste. Ihr Fernglas lag seit Wochen neben dem Notebook auf dem Rücksitz. In scharfen Kurven rutschen beide unkontrolliert hin und her und drohten, dort auf den Boden zu fallen, wo der Stadtplan schon lag.
Sie suchte nicht mehr. Hinter diesen Signalen war keine Story, hinter diesem Licht lag eine andere Welt. Über Tag versuchte sie wie die Frau zu wirken, die sie irgendwann einmal gewesen war. Wenn einer der Kollegen über ihre Geisterjagd oder ihre schwarze Kleidung scherzte, lachte sie mit und fragte sich, wie sie jemals auf die Idee gekommen war, in der Redaktion darüber zu sprechen. Nachts suchte sie in ihren Träumen den weichen Mund unter den hellen Augen und fühlte das Dreieck über ihrem Herzen wie Feuer brennen.
Der Chefredakteur, der seit ihrem Gespräch nur dienstliche Worte mit ihr gewechselt hatte, hatte noch einmal sein Tablett in der Cafeteria dicht neben ihres geschoben und ihr, ohne erkennbar Atem zu holen, von seinem Freund erzählt.
Wie gut es ihm wieder gehe und wie sie lachen über die Sachen, die er unter der Einwirkung der Narkose erzählt habe. Was für ein ganzer Kerl er sei und wie tapfer er sein schweres Schicksal jetzt akzeptiere. Die Hand des Chefredakteurs war dabei wie eine müde Amphibie über den Tisch auf ihre Hand zugekrochen. Er habe ihr doch hoffentlich keine Angst gemacht mit seinen Spukgeschichten?
Sie hatte ihre Hand mit einem Schaudern, das ihm nicht entgangen war, weggezogen.
Nein, sie hatte keine Angst.
Mit einem Unterton, der ihr nicht gefiel, hatte er daraufhin ihre Selbstständigkeit gelobt und auf ihren Status als alleinstehende Frau hingewiesen, der doch sicher etwas mehr Hingabe an ihren Beruf möglich machte.
Hingabe. (1.620.000 Einträge). Wenn sie nach Hause kam, saß sie stundenlang vor dem Computer und starrte auf den hellen Bildschirm.
Finde deinen Platz!
Was war, wenn die Liebe und die Hingabe sich all die Jahre vor ihr im Dunklen verborgen hatten? Spätestens um Mitternacht verließ sie normalerweise das Haus.
In dieser Nacht hielt sie an einer roten Ampel und wischte mit der Außenfläche der Hand über die beschlagene Windschutzscheibe.
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