Rachel ist süß (German Edition)
helfen.“ Warum hatte sie auf einmal das Gefühl, sich bei der Frau entschuldigen zu müssen?
„Warum denn helfen? War doch harmlos. Diese Bengels! Die wären schon weitergegangen. Ich stehe da jeden Abend, ist noch nie was vorgekommen.“
„Aber Sie hatten doch so furchtbare Angst.“
Die Frau rückte unwillig näher an die Tür. „Woher wollen Sie das denn wissen?“
Gute Frage, dachte Kendra, und beschloss der Einfachheit halber, den Medien die Schuld zu geben. „Ich dachte bloß, man sieht so viel im Fernsehen in letzter Zeit.“
„Da haben Sie recht!“ Die Frau blühte sichtlich auf. „Man weiß ja heutzutage auch nie, was so alles auf der Straße herumläuft. Aber mein Mann sagt immer, die Frauen, denen so etwas passiert, die sind nie ganz unschuldig.“ Sie schaute Kendra Beifall heischend an. „Ich arbeite jetzt zwanzig Jahre in der Gaststätte und musste oft spät den Bus nehmen. Mir ist nie etwas passiert!“ Der Stolz in ihrer Stimme übertünchte die Unsicherheit nur schlecht.
Kendra starrte auf die Straße und fühlte, wie ihr sinkender Adrenalinspiegel einer großen Müdigkeit Platz machte. Warme Luft breitete sich im Wagen aus und die Fremde streckte müde ihre Beine.
„Trotzdem danke, für die Fahrt, meine ich. So bequem bin ich lange nicht mehr nach Hause gekommen.“ Sie kicherte. „Mein Mann holt mich selten ab. Er ist ja immer viel früher zu Hause und dann den ganzen Abend trocken da sitzen und kein Bier trinken, nee das wäre nichts für ihn … Macht mir auch nichts, mit dem Bus zu fahren.“
Sie schwiegen beide wieder, bis Kendra in die richtige Straße einbog. Vor einem dunklen Wohnhaus stellte sie den Motor ab.
„Machen Sie so etwas öfter?“ Die Frau legte eine Hand auf die Türklinke und sah Kendra neugierig an.
„Was mache ich öfter?“
„Na, so etwas, Frauen auf der Straße auflesen.“
„Da bin ich noch nicht sicher.“
Die Frau stieg kopfschüttelnd aus dem Auto und ging, ohne sich bedankt zu haben, auf die Haustür zu. Kendra seufzte und hoffte inständig, dass Robin Hood auch einmal so angefangen hatte, dann schlug sie den Heimweg ein. Sie hatte eine fremde Frau aus einer Bushaltestelle gezerrt, weil sie sich eingebildet hatte, ihre Angst zu spüren. Was hatte sie dafür erwartet? Dass sie ihr schluchzend vor Dankbarkeit um den Hals fiel und darauf bestand, Kendras Bildnis auf eine bronzene Plakette gravieren zu lassen? Sie fühlte sich mit einem Mal leer und dumm.
Was du getan hast, war richtig . Wie eine Berührung klang der Satz durch ihren Kopf. Leg dich schlafen, du bist erschöpft. Diese Stimme, Kendra erschauderte, ohne es zu wollen. Leg dich schlafen, hatte die Stimme gesagt und Kendra wünschte sich plötzlich, dass diese weibliche Stimme andere Dinge zu ihr sagte, sanfte, leise Dinge. Folgsam suchte sie sich den Weg zurück auf die Stadtautobahn und schlug den Heimweg ein. Tief in Gedanken versunken bog sie auf ihren Garagenhof ein und passierte in der engen Durchfahrt einen Wagen, in dem vier Menschen saßen. Wartend. Unbehaglich sah sie in ihren Rückspiegel. Nachdem sie ihr Auto rückwärts in die Garage gesetzt hatte, blieb sie sitzen und behielt den fremden Wagen im Auge. Nichts bewegte sich in seinem Inneren, die dunklen Silhouetten machten keine Anstalten auszusteigen. In ihrem Wagen wurde es schnell kälter. Verdammt, sie konnte nicht ewig hier sitzen bleiben. Ihre überreizten Nerven reagierten mit hilfloser Wut. Durch diese Unterführung zu gehen, war sowieso schon unangenehm. Sie war vollkommen dunkel und roch nach feuchtem Moder. Was für eine Nacht. Gerade hatte sie noch, ohne viel zu überlegen, eine Frau gerettet und nun saß sie selbst verängstigt auf einem Hof. Schluss damit! Sie stieg aus und ging mit festen Schritten auf die Unterführung zu. Der Schlüsselbund in ihrer Faust stach ihr in die Finger. Als sie mit dem Auto auf gleicher Höhe war, senkte sich lautlos die Seitenscheibe. Erschreckt machte sie einen Schritt zur Seite.
Finde deinen Platz!
Ihr ganzer Körper ruckte wie von einem Schlag getroffen herum. Vier dunkle Frauen sahen sie an. Acht helle Augen hielten sie fest. Wie eine dargebotene Hand nahm sie den Blickkontakt auf und Bilder stürzten den neu geschaffenen Kanal mit brennender Intensität hinab.
Ich bin der Regen, der fällt
und du treibst meine Tropfen auf trockenes Gras.
Ich bin der Schnee, der hernieder sinkt
und meine
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