Rachel ist süß (German Edition)
Einsam lag die Straße vor ihr. Die Frau, die an der Haltestelle gegenüber auf den Nachtbus wartete, drückte sich tiefer in den Schutz des Wartehäuschens. Kendra beobachtete sie nachdenklich. Das aufflammende Grün der Ampel tauchte das Wageninnere in unwirkliches Licht und sie fuhr an. Aus dem Augenwinkel sah sie neben der Haltestelle zwei Gestalten den dunklen Weg der städtischen Parkanlage hinaufkommen. Sie schaltete in den nächsten Gang und fuhr langsam weiter. Das konnten nur Männer sein, Frauen mieden den Park nach Einbruch der Dunkelheit. Ihre Hand auf dem Schaltknüppel verharrte. Sie würden aus dem Weg heraustreten und an der wartenden Frau vorbeigehen.
Sie bremste in einiger Entfernung und schaltete in den Leerlauf.
Was gefiel ihr daran nicht? Männer und Frauen gingen täglich millionenfach aneinander vorbei und es schien meistens reibungslos zu funktionieren
Die feinen Härchen auf ihrem Nacken richteten sich auf und sie fühlte einen kalten Luftzug am Hals entlangstreichen. Sie fühlte Angst! Nicht ihre, da war sie sich sicher, sondern die Angst der wartenden Frau. Sie hatte keine Ahnung, wie sie diese neue Form der gefühlten Halluzination nennen sollte, also ließ sie sie namenlos.
Dreh den Wagen! Die Stimme in ihr war laut und bestimmt. Sie riss das Lenkrad herum und gab zögerlich Gas. Diese Frau hatte Angst und diese Angst wurde stärker.
Die Haltestelle kam in Sicht und Kendra fluchte laut. Die beiden Männer waren wirklich vor der Frau stehengeblieben und versperrten ihr die Sicht. Sie stoppte den Wagen in einiger Entfernung und überlegte fieberhaft. Vielleicht kennen sie sich und unterhalten sich nur? Sie reckte den Kopf, aber die Frau blieb hinter den breiten Rücken der Männer verborgen. Die Szene sah eigentlich ganz friedlich aus.
Schließ die Augen! , hörte sie die Stimme, nach der sie sich Nacht für Nacht sehnte, flüstern. Sie folgte dem Befehl und die Angst der Frau schoss wie ein Schrei durch ihren Körper. Sie kuppelte unsanft und ihr Auto rutschte mit quietschenden Reifen vorwärts. Einer der Männer drehte sich herum und sah zu ihr hinüber, sein Blick wischte ihre letzten Zweifel beiseite. In ihrem Kopf hämmerten die Gedanken, während sie langsam auf die Haltestelle zufuhr. Alle drei Personen standen mittlerweile soweit im Dunkeln, dass ihre Bewegungen nur undeutlich zu erkennen waren.
Sie rollte immer näher. Ihr Herz schlug schnell und viel zu laut. Jetzt!
Sie drückte den Fuß auf das Gaspedal und zog den Wagen nach rechts. Mit einem lauten Poltern überwand sie den Bürgersteig und ihr Fernlicht tauchte die Szene in kaltes, helles Licht. Die Männer drehten sich um und hielten die Hände schützend vor die Augen.
„Eh, du Arschloch, bist du …“
Sie war schon vor ihren ersten Worten aus dem Wagen gesprungen und hatte, ununterbrochen laute Kommandos brüllend, die Frau aus dem Dunkeln in Richtung ihres Autos gezerrt. Bis der Erste der beiden Männer einen Schritt auf das Auto zu machte, waren sie schon wieder auf der Straße.
„Alles in Ordnung?“ Sie schaute die unbekannte Frau auf ihrem Beifahrersitz zum ersten Mal an. Sie war mittleren Alters und nicht sehr ordentlich gekleidet. Ein Duftgemisch aus Rauch, Bier und gebratenem Essen umgab sie wie eine Aura.
„Mir geht es gut.“ Die Frau kramte ein zerknülltes Papiertaschentuch aus dem Mantel und putzte sich die Nase.
„Ich fahre Sie nach Hause, wenn Sie mir sagen wo Sie wohnen.“
Kendra lenkte den Wagen auf einen Parkstreifen und hielt. Die Frau sah sie misstrauisch von der Seite an und rutschte auf ihrem Sitz nach vorne. „Ich habe aber kein Geld. Wenn Sie Geld dafür wollen, steige ich lieber hier aus.“
Sie schob die Hand unter den Türgriff.
„Ich will kein Geld, ich will einfach nur, dass Sie sicher nach Hause kommen.“ Kendra fiel es nicht schwer, ernsthaft und besorgt zu klingen.
Ein weiterer unsicherer Blick traf sie. Sie legte die Hände um das Lenkrad und schaute ungeduldig geradeaus. „Also?“
Die Frau nannte leise eine Adresse in einem der nördlichen Stadtteile.
Der Wagen schnurrte durch die nächtlichen Straßen und die beiden saßen in unbehaglichem Schweigen nebeneinander. Kendra wurde klar, dass Superhelden schon allein deshalb ihre frisch Geretteten nach Hause flogen, weil das flatternde Cape und die große Höhe jede Unterhaltung unmöglich machten.
„Ich wollte ihnen wirklich nur
Weitere Kostenlose Bücher