Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
wette, einer seiner aufmerksamsten Beobachter war kein Arzt, sondern ein junger Mann mit einem Hilfsjob. Jemand, der nie zu Personalbesprechungen eingeladen wurde, den es danach dürstete, Macht auszuüben und der genug Zeit hatte, alle möglichen nützlichen Dinge aufzuschnappen.«
»Ärzte kommen und gehen«, sagte sie, »doch die Pfleger reißen Achtundvierzig-Stunden-Schichten ab.«
»Dass dieser Pfleger einen so guten Riecher für das Böse hatte«, fuhr ich fort, »mag daran liegen, dass er einen persönlichen Bezug dazu hat.«
»Weil er selbst einen an der Waffel hat.«
»Psychopathen-Pheromone«, sagte Milo. »Man erkennt die eigene Art am Geruch.«
Ich sagte: »Pitty, oder wie auch immer er in Wirklichkeit heißt, hat Huggler so lange beobachtet, dass er zu einem wahrhaftigen Huggler-Experten wurde. Er hat sich mit dem Jungen angefreundet und ein Lehrer-Schüler-Verhältnis aufgebaut. Der Junge hatte endlich jemanden, der seine Bedürfnisse verstand, statt sie zu verurteilen. Vielleicht hat Pitty kleine Tiere für Huggler gefangen, damit der damit spielen konnte.«
»Und was hatte er davon?«
»Jemanden, der ihn vergötterte, der von ihm abhängig war oder der vielleicht auch nur eine verwandte Seele für ihn war. In Anbetracht von Hugglers Alter und dem scheinbar hohen Grad seiner Anpassung standen die Chancen nicht schlecht, dass er entlassen werden würde, sobald er volljährig war. Doch dann machte Marlin Quigg alles kaputt. Huggler wurde einer völlig unnötigen Operation unterworfen und in die Geschlossene verlegt. Wenn ich mit meiner Annahme, dass er erst seit fünf Jahren draußen ist, recht habe, hat er den Rest der Zeit in einer anderen Anstalt verbracht, möglicherweise Atascadero. Die Beziehung zu jemandem, der vorgibt, sich um ihn zu kümmern, wäre sein einziger Bezug zur Realität.«
»Pitty zieht mit ihm zusammen, Pittys Realität wird seine?«, sagte Petra. Sie schüttelte den Kopf. »Mit dieser OP haben wir einen klaren Fall von ärztlichem Missbrauch. Man könnte es also auch als Vergeltung interpretieren: Sie haben ihm die Kehle aufgeschlitzt, jetzt bricht er anderen das Genick. Aber warum haben wir keine aufgeschnittenen Hälse gesehen? Wäre das nicht ein deutlicheres Symbol gewesen?«
»Ich könnte den ganzen Tag weiter mit dir theoretisieren – vielleicht hat er das nicht gemacht, weil ihm das zu persönlich war. Sozusagen. Fest steht nur, dass wir vielleicht nie erfahren, was Huggler wirklich antreibt.«
Milo sagte: »V-State macht zu, Mentor folgt Schüler, Schüler kommt irgendwann raus, Mentor setzt ihn als tödliche Waffe ein. Passt das in dein Zahnradbild?«
Ich nickte. »Eine Waffe, gerichtet auf alle, die ihm oder seinem Protegé dummkommen. Pitty will sich vielleicht nicht selbst die Hände schmutzig machen, aber wenn er der überempfindliche, machthungrige Narziss ist, für den ich ihn halte, dann rächt er sich für Kleinigkeiten, die jeder andere von uns einfach abschütteln würde.«
Petra sagte: »Spielt Sex zwischen den beiden eine Rolle?«
»Möglich, aber nicht notwendigerweise. Es kann sein, dass sie beide weit entfernt von einem konventionellen Sexualleben sind.«
»Jemand geht mir auf den Keks«, sagte Milo, »ich hetze meinen kleinen Kumpel auf ihn, der macht sie zu anatomischen Schauobjekten.«
Ich sagte: »Und der kleine Kumpel freut sich auch noch über die Aufgabe. Das ist der nächste Zahn, der greift: eine perfekte Partnerschaft, in der beide ihre Bedürfnisse befriedigen können. Nehmen wir Vita Berlin: Sie war aggressiv und streitlustig und verbreitete schlechte Laune, wo sie nur konnte. Wie die meisten Misanthropen hatte sie ein ausgeprägtes Gespür dafür, wer ein gutes Opfer abgab, und der Mann, den sie als Dr. Shacker kannte, schien ideal: körperlich unattraktiv, nach außen hin sanft und dazu noch Psychologe, als der er geduldig und unvoreingenommen sein musste. Denk an die Filme, in denen Therapeuten vorkommen – die werden fast immer als zerstreute Waschlappen dargestellt. Vita musste die Sitzungen mit dem kleinen Weichei machen, damit ihre Versicherung zahlte, aber sie war fest entschlossen, dabei ein bisschen Spaß zu haben. Von Anfang an blieb sie störrisch und piesackte ihn, bis sie ihm schließlich erklärte, dass sie ihn für einen Quacksalber hielt. Es würde mich nicht wundern, wenn ihr Todesurteil in dem Moment gefallen wäre, in dem das Wort ihren Mund verließ.«
»Er setzt Huggler auf sie an«, sagte Milo. »Und für
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