Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
Grüne.«
38
Dank Milos Bleifuß waren wir binnen fünfzig Minuten in Camarillo. Es war immer noch dieselbe Ausfahrt vom Highway 101, dieselbe gewundene Straße zwischen alten, eng stehenden Bäumen hindurch.
Wo früher eine riesige Wiese voller Wildblumen gewesen war, standen heute Zitronenbäume zu Hunderten in Reihen, und jegliche anderen Pflanzen waren verbannt. Am Rande der Plantage standen mehrere Schilder mit dem Logo einer Zitrus-Genossenschaft. Der Himmel präsentierte sich in makellosem Pastellblau.
Milo raste an der Obstplantage entlang, und ich spähte durch die Reihen auf der Suche nach versprengter menschlicher Präsenz.
Am anderen Ende stand ein unbemannter Traktor. Einen Kilometer weiter tauchte das nächste Schild auf, mit aquamarinblauer Schrift und einem Logo, das drei Möwen mit stechendem Blick darstellte.
SEABIRD ESTATES
Wohnresidenz
Ein paar Meter weiter wurde ein Tor sichtbar: schulterhoch, blau, mit cremefarbenen Mauerpfosten. Oberflächlich schutzbietend, aber doch wesentlich weniger einschüchternd als die sechs Meter hohe blutrote Pforte von V-State.
Fremde vom Eindringen abzuhalten war etwas anderes, als Insassen am Ausbrechen zu hindern.
In einem winzigen Schalterhaus saß ein Wärter und simste. Milo hupte. Der Wärter sah herüber, ohne seine Finger vom Handy zu nehmen. Er schob ein Fenster auf. Milos Dienstmarke ließ ihm das Kinn sinken. »Wir haben kein Problem gemeldet.«
»Ich weiß. Dürfen wir reinkommen, bitte?«
Der Wärter überlegte. Während er mit seiner SMS fortfuhr, drückte er den Knopf in einer eingebauten Konsole. Beim ersten Versuch verfehlte er ihn, doch beim zweiten öffnete sich das Tor.
Die Hauptstraße hieß Sea Bird Lane. Sie schlängelte sich eine Anhöhe hoch, die im Verlauf immer steiler wurde. Zu beiden Seiten der Straße erschienen Apartmenthäuser. Die Landschaftsgestaltung bestand in strategisch platzierten Rendezvous-Palmen, rotblättrigen Pflaumenbäumen und Beeten mit pflegeleichten Sukkulenten, die sich um die Straßenbiegungen legten wie eine Decke aus grünem Kaschmir.
Der Gebäudestil war einheitlich: neospanisch und cremeweiß wie die Torpfosten, dazu Dachbeläge aus roten Kunststoffschindeln, die sich bemühten, als echte Ziegel durchzugehen.
Viel Ähnlichkeit mit V-State hatte die Anlage nicht mehr. Die Fenster waren nicht mehr vergittert. Menschen waren kaum zu sehen. Zu Zeiten des Krankenhausbetriebes waren überall Mitarbeiter und Patienten der offenen Stationen umherspaziert, was eine lockere Atmosphäre schuf. Eigentümlicherweise fühlte sich SeaBird Estates mehr wie ein Gefängnis an.
Milo fuhr mit leichtem Gasfuß fünfzig Meter weiter, bis ich einen alten Originalbau entdeckte: das riesige Empfangsgebäude, wo damals der Einführungsvortrag stattgefunden hatte. Auf einem Schild neben dem Eingang stand Sea Horse Club House . Im Weiterfahren sahen wir noch mehr ehemalige Krankenhausgebäude. Sie trugen heute Namen wie Sea Breeze Card Room oder Sea Foam Meeting Place . Die ehemaligen Stationen, Behandlungszentren und sämtliche anderen verbliebenen Trakte fügten sich nahtlos in die Neubauten ein, ein Meisterwerk baukosmetischer Chirurgie.
Schließlich zeigten sich auch ein paar menschliche Wesen: weißhaarige, braungebrannte Pärchen in bequemem Freizeitoutfit beim entspannten Spaziergang. Während ich mich noch fragte, ob sie wohl über die Geschichte ihrer Wohnstätte Bescheid wussten, hechtete ein Mann vor unsere Kühlerhaube, rothaarig und bekleidet mit einem billigen Polyesterblazer, der ihm eine Nummer zu groß war, heller Baumwollhose und Schuhen mit Riffelsohle. Er hielt uns die Handflächen entgegen.
Milo bremste. Der Blazer-Mann musterte uns und trat dann an die Fahrerseite. »Rudy Borchard, Sicherheitschef. Was kann ich für Sie tun?«
»Milo Sturgis, LAPD . Freut mich, Sie kennenzulernen, Rudy.«
Synchrones Dienstmarkenzücken. Borchards war erheblich größer als Milos und stellte einen goldfarbenen Stern dar, der an die Schießerei am O. K. Corral erinnerte. Wobei Wyatt Earp sicher niemals so ein auffälliges Riesending getragen hatte, das eine perfekte Zielscheibe abgab.
»Also«, sagte Borchard zögerlich, als hätte er seinen Text nur bis zu dieser Stelle gelernt. Er legte schützend einen Finger auf seine Ansteckkrawatte. Sein Haar war an manchen Stellen zu lang, an anderen zu kurz und in der Farbe von verkochtem Kürbis gefärbt. Über seiner wulstigen Oberlippe lag ein Sieben-Tage-Schnurrbart wie
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