Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
verlassen hatte.
Ich rief die Fakultät an, erwischte eine Rezeptionistin, die mich kannte, und fragte nach der aktuellen Adresse und Telefonnummer von Cahane.
»Kein Problem, Doktor.«
Ventura Boulevard in Encino. Das mussten gewerbliche Räume sein.
Er hatte keine Approbation und arbeitete trotzdem?
Eine klare Frauenstimme antwortete: »Cahane und Geraldo, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Hier ist Dr. Delaware. Ich möchte gerne Dr. Cahane sprechen.«
»Das ist die Kanzlei von Mister Michael Cahane.«
»Ist er Anwalt?«
»Geschäftsführer.«
»Ich habe diese Nummer von der medizinischen Fakultät bekommen.«
»Die medizinische – oh«, sagte sie. »Mr. Cahanes Onkel nutzt diese Adresse für seine Post.«
»Dr. Emil Cahane.«
»Was möchten Sie denn von ihm?«
»Ich habe unter Dr. Cahane im Ventura State Hospital Praktikum gemacht und würde gerne Kontakt zu ihm aufnehmen.«
»Ich darf seine persönlichen Daten leider nicht herausgeben.«
»Könnte ich denn mit Mr. Cahane sprechen?«
»Er ist in einem Meeting.«
»Wann ist er denn wieder zu erreichen?«
»Ich werde ihm Ihre Nummer geben.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Danke. Bitte richten Sie Dr. Cahane aus, dass ein weiterer Mitarbeiter aus der Klinik verstorben ist. Ich dachte, das würde ihn interessieren. Marlin Quigg.«
»Wie traurig«, sagte sie ohne jede Emotion. »Ab einem gewissen Alter fängt es an, dass die Freunde wegsterben.«
Neun Minuten später klingelte das Telefon. Ich nahm ab, bereit, zu meiner Verkaufsrede für Dr. Cahane anzusetzen.
Milo sagte: »Petra und ich treffen uns zu einem Strategiemeeting, willst du nicht vorbeikommen?«
»Wann und wo?«
»In einer Stunde. Der übliche Treffpunkt.«
Das Café Moghul war bis auf zwei zusammengesunkene Detectives leer.
Milos Tandoori-Lamm-Berg war unberührt. Ebenso Petra Connors Meeresfrüchtesalat.
Milo begrüßte mich mit einer schlappen Handbewegung, die man als apathisch hätte interpretieren können, Petra gelang ein schmales Lächeln. Ich setzte mich.
Petra ist eine kluge, junge Kommissarin, eine ehemalige Werbegrafikerin mit außergewöhnlich scharfem Blick und einer ruhigen, zurückhaltenden Art, die von manchen als Kälte missverstanden wird.
Sie ist schmal und hager, auf eine Art, die, ob zu Recht oder Unrecht, Selbstvertrauen und Gelassenheit ausstrahlt. Ihr dichtes schwarzes Haar ist zu einem praktischen Bob geschnitten und sieht immer ordentlich frisiert aus. Ihr Makeup ist dezent, aber kunstvoll, ihre Augen klar und dunkel. Sie trägt enge Stoffhosen, schwarz oder dunkelblau, und setzt ihre Bewegungen sparsam ein, hört mehr zu, als dass sie redet. Alles in allem wirkt sie wie das Mädchen, das schon in der Highschool alle bewundert haben. Aus dem, was sie in all den Jahren über sich preisgegeben hat, interpretiere ich allerdings, dass es so einfach nicht gewesen sein kann.
Heute waren ihre Lippen bleich und aufgesprungen, die Augen rotgerändert. Ihre Frisur saß wie immer perfekt, doch ihre Hände verkrallten sich so fest ineinander, dass ihre zarten Fingerknöchel weiß hervortraten. An einem Finger war die Nagelhaut eingerissen.
Sie sah aus, als hätte sie eine lange, qualvolle Reise hinter sich.
Seit sie es gesehen hatte .
Sie löste ihre Hände und legte sie flach auf den Tisch. Milo rieb sich einen Nasenflügel. Die Frau mit Brille und Seidensari, der heute rot war, rauschte herbei und erkundigte sich nach meinen Wünschen. Ich bestellte Eistee. Petra aß ein Salatblatt und prüfte ihr Handy, an dem es nichts zu prüfen gab.
Milo steckte sich mutig etwas Lamm in den Mund, verzog dann aber das Gesicht, als hätte er Erbrochenes geschluckt. Er schob seinen Teller von sich, klemmte den Finger in seinen Hosenbund und rutschte mit dem Stuhl etwas zurück, als wollte er sich generell vom Gedanken an Essen distanzieren.
Er sah Petra an.
Sie sagte: »Leg los.«
»Nummer fünf«, begann Milo, »ist ein armer Teufel namens Lemuel Eccles, weiß, männlich, siebenundsechzig. Ein Obdachloser, der mehrere Schlafplätze in der Stadt hatte, vor allem in East Hollywood, nördlich vom Boulevard, unmittelbar an der Western Avenue, hinter einem Autoteile-Laden; einer davon wurde jetzt zu seiner letzten Ruhestätte.«
Ich fragte: »Wer hat ihn gefunden?«
»Ein Mitarbeiter eines privaten Müllentsorgers. Eccles’ Leiche lag neben einem Abfallcontainer.«
»Die gleiche Technik?«
Petra zuckte zusammen und murmelte »Lieber Gott«, ehe sie
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