Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
selbstständig gemacht habe, hat sie immer wieder kleine Patienten an mich überwiesen, die stets mit Weisheit und Hintersinn ausgewählt waren.
Ein neuer Patient würde mich jetzt zwar von meiner Hauptaufgabe ablenken, doch kranke Kinder hatten immer Vorrang. »Stellen Sie sie durch«, sagte ich.
»Freut mich, mal wieder von dir zu hören, Alex.« Donnas tiefe Raspelstimme klang noch kratziger als sonst. Als ich sie kennenlernte, hatte sie noch geraucht; ein altes Laster aus Collegetagen, das sie erst nach vielen vergeblichen Versuchen losgeworden war. Ich hoffte, dass der Reibeisensound nichts zu bedeuten hatte.
Sie hustete. »Verdammte Erkältung, Kinder sind wie Petrischalen für Viren.«
Ich sagte: »Wird schon wieder. Was gibt’s?«
»Ich habe hier jemanden, den du kennenlernen solltest.«
»Okay.«
»Kein Patient«, sagte sie. »Diesmal helfe ich dir.«
Sie holte zur Erklärung aus.
Ich sagte: »Wann?«
»Jetzt gleich, wenn du es möglich machen kannst. Da ist eine gewisse … Dringlichkeit im Spiel.«
Ich schaffte die Strecke in etwas weniger als einer Stunde. Das Western Pediatric Medical Center befand sich in dem vertrauten Prozess von Zerstörung und Wiederaufbau: Aus einer stahlbewehrten Grube erstand ein schimmernder Neubau mit Marmorfassade; wen kümmert schon das chronische Finanzdefizit.
In der trostlosen Ödnis East Hollywoods war der Campus so etwas wie ein Hort der hehren Absichten. Einen knappen Kilometer Richtung Norden war Lemuel Eccles massakriert und liegen gelassen worden. Zufall, Karma oder Metaphysik? Jetzt war keine Zeit, das herauszufinden.
Ich parkte auf dem Parkplatz für die Ärzte, nahm den Aufzug zum vierten Stock eines Glasbaus, der nach einem längst verstorbenen Stifter benannt war, lächelte mich am Empfangsschalter der Häma-Onko vorbei und klopfte an Donnas Tür.
Sie öffnete, ehe ich die Hand herunternehmen konnte, schloss mich in die Arme und führte mich hinein.
Auf ihrem Schreibtisch herrschte das übliche Chaos. Neben einem der beiden Besucherstühle stand ein Mann.
»Dr. Delaware, das ist Mr. Banforth.«
»John«, sagte der Mann und streckte mir die Hand entgegen.
»Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Vielleicht sollte ich mich bei Ihnen bedanken.«
Banforth wartete, bis ich saß, ehe er auf seinem Stuhl Platz nahm.
Er war Mitte dreißig, knapp eins achtzig groß, kräftig gebaut, schwarz und hatte kurzes, vorzeitig ergrautes Haar. Auf seiner schmalen geraden Nase saß eine Schildpattbrille. Er trug einen braunen Pullover mit Rundhalsausschnitt, eine mokkafarbene Hose und Laufschuhe aus mahagonifarbenem Wildleder. An seinem Pullover steckte eine Golfnadel. An einem dünnen goldenen Kettchen um seinen Hals hingen zwei Figürchen, die Silhouetten eines Jungen und eines Mädchens.
Donna sagte: »Ich lasse euch beide allein«, und ging nach draußen.
Als die Tür zu war, sagte John Banforth: »Die Geschichte belastet mich.« Er überschlug seine Beine, runzelte dann aber die Stirn, als wäre alles, was nur den Anschein von Entspannung erwecken könnte, fehl am Platz, und stellte beide Füße wieder auf den Boden.
»Okay«, sagte er, »na dann.« Er atmete tief durch. »Wie Dr. Angel Ihnen schon gesagt hat, ist meine Tochter Cerise ihre Patientin. Sie ist fünf und hat ein Nephroblastom, Stadium III , eine ihrer Nieren musste entfernt werden, und wir dachten, wir würden sie verlieren. Aber jetzt macht sie sich großartig, spricht richtig gut auf die Therapie an, und wir glauben alle, auch Dr. Angel, dass sie ein hohes Alter erreichen kann.«
»Das ist wunderbar.«
»Ich kann Dr. Angel gar nicht genug danken. Wenn jemand diesen Namen verdient, dann sie … nichtsdestotrotz ist die Behandlung eine einzige Höllenqual, und Cerises Körper reagiert extrem empfindlich, auf alles. Die letzte Chemo liegt ein paar Wochen zurück, sie musste danach noch so lange im Krankenhaus bleiben, bis sich ihre Werte stabilisiert hatten. Irgendwann durften wir sie dann endlich mit nach Hause nehmen. Wir wohnen in Playa Del Rey; auf dem Freeway klagte Cerise plötzlich, dass sie Hunger habe. Ich nahm die nächste Abfahrt, das war zufällig Robertson; zwischen lauter Fastfood-Restaurants fanden wir dann dieses Café – Bijou –, das ganz nett aussah. Wenn Cerise schon einmal etwas essen wollte, dann sollte es etwas Ordentliches sein. Außerdem war es um die Mittagszeit, und meine Frau und ich konnten auch etwas vertragen. Madeleine ist Tanzlehrerin, ich Golfprofi, wir
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