Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
achten auf vernünftige Ernährung.«
»Klingt einleuchtend.«
»Wir gingen also rein und bestellten, und alles war okay, bis Cerise anfing, weinerlich zu werden. Wahrscheinlich wären wir in dem Moment am besten mit ihr nach Hause gefahren, aber ihre Werte waren wirklich gut … Wenn das eigene Kind die Hölle durchlebt und sich dann plötzlich etwas wünscht – dann gibt man ihm das doch, oder?«
»Natürlich.«
»Trotzdem«, sagte Banforth. »Wir hätten es besser wissen müssen. Es kommt öfter vor, dass Cerise nach der Chemo ihre Kräfte überschätzt.« Seine Augen wurden feucht. »Sie ist durch die Hölle gegangen, aber sie hat immer versucht, stark zu sein.«
Er förderte eine Brieftasche zutage und zeigte mir Fotos. Ein pausbäckiges kleines Mädchen mit einem Wust messingfarbener Ringellöckchen auf dem Kopf, dann dasselbe Kind, wenig älter, kahl, bleich, mit Warum-ich -Ausdruck in den Augen, die viel zu groß aus ihrem eingefallenen Gesichtchen hervorblickten.
Ich sagte: »Sie ist bezaubernd«, und war überrascht über den Kloß in meinem Hals.
»Sie verstehen, was ich meine. Es zerreißt einem das Herz, und man sagt Ja, auch wenn man weiß, dass es falsch ist.«
»Natürlich.«
»Es lief also alles ganz okay, dann wurde Cerise plötzlich superweinerlich. Sie fing an zu stöhnen, zuerst dachten wir, sie hätte Schmerzen, aber als wir sie fragten, sagte sie nein, sie könne auch nicht sagen, was los sei, manchmal denke ich, sie wusste es in dem Moment wirklich nicht. Dann auf einmal meinte sie, am allerliebsten hätte sie jetzt ein Eis. Normalerweise bekommt sie Eis immer erst als Nachspeise, aber …«
Er versuchte noch einmal, seine Beine zu überschlagen. Dasselbe Unwohlsein, dieselbe Umkehrreaktion. »Ja, wir verwöhnen sie. Jared – unser Sohn, er ist zehn – beschwert sich in einem fort darüber. Aber bei allem, was Cerise durchgemacht hat … Jedenfalls bestellten wir ein Eis, doch als es kam, hatte Cerise ihre Meinung geändert und fing wieder an zu nölen. Als die Bedienung kam und fragte, ob sie einen Donut frisch aus dem Ofen wolle, sagte sie Ja.«
Banforths Stirn war feucht geworden. Er tupfte sie mit einem Stofftaschentuch ab. »Klar hat sie uns in der Hand. Es ist die einzige Macht, die sie hat. Aber wenn sie erst einmal aus dem Gröbsten raus ist, werden wir anfangen, sie zu … Jedenfalls waren wir jetzt so weit, dass wir sofort zahlen und gehen wollten, aber ich habe noch nicht richtig meine Brieftasche herausgeholt, da schießt diese Frau am Nachbartisch hoch wie von der Tarantel gestochen, kommt auf uns zu gestampft und starrt Cerise an, von oben herab, bitterböse und hasserfüllt. Cerise ist ein sehr feinfühliges Kind, sie fängt sofort lauthals an zu heulen. Jeder normale Mensch hätte spätestens jetzt verstanden, was los ist, und wäre gegangen. Aber diese Frau nicht, ihr Blick wird sogar noch härter. Als würde sie versuchen, Cerise fertigzumachen, sie buchstäblich mit ihrem Blick zu töten, verstehen Sie?«
»Nicht zu fassen«, sagte ich.
»Madeleine und ich waren so schockiert, dass wir überhaupt nichts tun konnten. Dann nimmt mich die Frau mit ihrem Giftblick ins Visier. Ich sage: ›Was ist Ihr Problem?‹ Sie sagt: ›Leute wie Sie. Kranke essen im Krankenhaus und nicht im Restaurant.‹ Ich bin sprachlos, ich meine, ich kann einfach nicht glauben, was ich gerade gehört habe, unterdessen fängt Madeleine an zu erklären, sie ist immer so vernünftig, aber diese Verrückte, dieses schreckliche Biest, winkt bloß ab und sagt: ›Leute wie Sie. Wie können Sie es wagen, andere mit Ihrer Brut zu belästigen?‹ Da hab ich die Nerven verloren, also, ich meine, wirklich.«
Banforth sah zur Tür. »Ich hätte es besser wissen müssen. Ich war beim Militär, ich wurde ausgebildet, Druck standzuhalten. Aber hier ging es um mein Kind. Cerise als Brut zu bezeichnen. Es war, als würde sie einen Sprengstoff zusammenmischen, um mich zum Explodieren zu bringen, und mir war das auch völlig klar, trotzdem hab ich die Nerven verloren. Ich habe sie nicht angerührt, so hirnlos war ich nicht. Ich bin allerdings aufgesprungen und auf sie zu, ich kann Ihnen sagen, Doktor, ich war nah dran, eine Dummheit zu begehen, zum Glück hat mir in dem Moment meine militärische Ausbildung doch noch geholfen. Ich habe mich also wieder hingesetzt, und sie ist zu ihrem Tisch zurück, hat uns aber die ganze Zeit über überheblich angegrinst. Als hätte sie gewonnen. Wir sind dann so
Weitere Kostenlose Bücher