Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
erfolglosen Runden steuerte ich das Bijou an.
Es war kurz nach fünfzehn Uhr, und das Café hatte geschlossen. Durch das Fenster sah man Ralph Veronese mit dem Besen hantieren. Sein langes Haar war zu einem Knoten zusammengebunden, der halb nach Mädchen und halb nach Samurai aussah. Ich klopfte an die Scheibe. Ohne sein rhythmisches Kehren zu unterbrechen, deutete er auf das Geschlossen -Schild. Als ich noch einmal fester klopfte, sah er auf.
Er öffnete die Tür einen Spaltbreit und lehnte den Besen an den Rahmen. »Hey.«
»Ich bin noch mal wegen Vita gekommen.«
»Haben Sie den Kerl?«
»Noch nicht. Ich wollte Sie zu einem Gast befragen, den ich beim letzten Mal gesehen habe.« Ich beschrieb ihm Lammfell.
»Nein, da klingelt nichts bei mir.«
»Er muss mindestens noch ein weiteres Mal hier gewesen sein.«
»Damit ist er noch kein Stammgast. Und ich bin sowieso die meiste Zeit in der Küche.«
»Er saß in der Ecke, hatte Steak und Eier und löste Rätsel in einem Rätselmagazin.«
Veronese sagte: »Oh.«
»Sie erinnern sich doch an ihn.«
»Nicht direkt an ihn, eher an dieses Buch. Ich dachte noch, bestimmt wieder so einer vom Campingplatz, der meint, wir wären eine Bibliothek. Aber dann hat er doch was bestellt. Oft kommen Camper mit ihren Laptops zu uns, um stundenlang vor einem Kaffee zu sitzen. Wenn sie dann merken, dass wir kein W-Lan haben, sind sie sauer.«
»Ist er sonst schon mal hier gewesen?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Könnten Sie nicht mal die Belege für den Tag durchsehen, an dem er hier war?«
»Die sind alle bei meiner Buchhalterin, ich schicke ihr immer freitags alle Unterlagen.«
»Dann rufen Sie sie bitte an.«
Er wählte eine einprogrammierte Nummer, sprach mit jemandem namens Amy und legte wieder auf.
»Sie sagt, die sind schon abgelegt und es würde ein bisschen dauern, bis sie sie gefunden hat.«
»Je früher, desto besser, Ralph.«
»Ich bezahle sie pro Stunde.«
»Schicken Sie mir die Rechnung.«
»Im Ernst?«
»Im Ernst.«
Er schickte Amy eine SMS .
Ich sagte: »Sie sind meist in der Küche, aber Hedy ist doch im Lokal. Rufen Sie sie doch bitte für mich an, oder geben Sie mir ihre Nummer, falls Sie sie nicht erreichen.«
»Ihre Nummer ist meine Nummer«, sagte Veronese. »Wir möchten heiraten.«
»Gratuliere.«
Ich deutete auf sein Telefon. Er erreichte Hedy, erklärte ihr, worum es ging, und reichte sie an mich weiter.
Sie sagte: »Der Typ mit dem Rätselheft? Klar erinnere ich mich an den. Aber ich muss Ihnen sagen, der hat bar bezahlt. Das weiß ich noch so genau, weil es alles Münzen waren. Als hätte er sein Sparschwein geschlachtet.«
»Was können Sie sonst noch über ihn sagen?«
»Hm … er hat seinen Teller leergegessen … hat, abgesehen von der Bestellung, kein Wort gesprochen … hatte eine Mädchenstimme … richtig hoch, es passte gar nicht zu seinem Körperbau, weil er mehr wie ein Footballspieler aussah, wissen Sie.«
»Für Smalltalk hatte er also nichts übrig.«
»Der hing die ganze Zeit über seinem Rätselheft.«
»Was waren das denn für Rätsel?«
»Kann ich nicht sagen. Denken Sie, er hat Vita getötet?«
»Jedenfalls würden wir uns gern mit ihm unterhalten.«
»Weil er ein bisschen neben der Spur ist?«
»Inwiefern?«
»Na ja, so geistig.«
»Hat er so einen Eindruck auf Sie gemacht?«
»Ich bin kein Psychiater«, sagte sie, »aber er war einfach nicht … er hat einem nie in die Augen geschaut. Und dann hat er so genuschelt. Mit dieser Piepsstimme. Als wollte er flüstern – um irgendwie nicht aufzufallen.«
»Menschenscheu.«
»Genau. So im Stil: Lass mich in Ruhe . Ich hab das respektiert, in meinem Job muss man auch ein bisschen Seelendoktor sein.«
»Sonst noch etwas, das Ihnen an ihm merkwürdig vorgekommen ist?«
»Seine Kleidung. Im Bijou ist es ziemlich warm, weil unsere Klimaanlage nicht viel taugt, trotzdem hat er seinen dicken Fellmantel anbehalten. Ich hab auch so einen, aus der Zeit, als ich noch in Pittsburgh gewohnt habe, aber den hab ich noch nicht aus dem Schrank genommen, seit ich in L. A. lebe.«
»Hat er geschwitzt?«
»Hm … ich glaube nicht. Ach, da war noch was, er hatte eine Narbe. Am Hals, unter dem Kehlkopf. Nichts Dramatisches, einfach so ein weißer Strich.«
»Über den Adamsapfel?«
»Tiefer, im weichen Teil. Als hätte ihn vor Langem jemand da aufgeschnitten und es wäre gut verheilt.«
»Sonst irgendwelche Male?«
»Ich hab zumindest keine
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