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Racheopfer

Racheopfer

Titel: Racheopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ethan Cross
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Repetiergewehre. Deshalb war er auf dem Weg zurückgewichen, den er gekommen war, um eines seiner Spielchen zu beginnen.
    Er würde sie im Dunkeln erwarten und überraschen.
    Er spürte genau, wie sie näher kamen, aber er musste den richtigen Moment abpassen. Dann würde er das tun, was er am besten konnte.
    Der Geruch von vermodertem Holz, Schimmel und Verfall stieg ihm in die Nase, aber er empfand ihn nicht als unangenehm. Anblicke und Gerüche, Gefühle und Handlungen, die andere als abstoßend wahrnahmen, hatte er immer schon als tröstlich empfunden. Zum Beispiel, dass er sich zur Finsternis hingezogen fühlte. Für die meisten Menschen bedeutete ein dunkles Zimmer das Unbekannte, Bedrohliche, das sie fürchteten, da es sich ihrer Kontrolle entzog. Sie sehnten sich nach Licht, nach Klarheit. Ackerman jedoch war als kleiner Junge von seinem Vater in einem Raum festgehalten worden, in dem rund um die Uhr eine nackte Neonröhre gebrannt hatte. Das ständige Summen, die unablässige grelle Helligkeit hatten sich wie Säure in sein Bewusstsein gefressen. Er sah das Licht als ein Lebewesen, das ihn peinigen wollte und dessen Abwesenheit ihn mit Wärme und einem merkwürdigen Gefühl des Wohlbehagens erfüllte.
    Er nahm an, dass sein Gehirn einfach anders aufgebaut war als bei anderen Menschen. Ob es von den Folterqualen seiner Jugend herrührte, von seinem Erbgut oder einer Schädigung des Kontrollzentrums, spielte eigentlich keine Rolle. Er war eben anders. Er war zerbrochen worden und konnte nicht repariert werden.
    Er wollte nicht repariert werden.
    Er hörte, wie jenseits der Kellerwände der Regen auf die bereits mit Feuchtigkeit gesättigte Erde platschte. Das leise Prasseln erinnerte ihn an den Abend, an dem er Jennifer und ihre Familie kennengelernt hatte.
    Er hatte mit ihnen gespielt, und sie hatten das Spiel verloren.
    Ihm kam wieder die Frage in den Sinn, die Jennifer ihm am heutigen Abend gestellt hatte. Warum hatte er die ganze Familie ermordet, sie aber am Leben gelassen?
    Genau diese Frage hatte er sich auch schon oft gestellt.
    Die Erinnerungen an jenen Abend waren noch immer sehr lebhaft. Die Geschirrvitrine aus Eiche, voll mit teurem Porzellan. Die Standuhr in der Ecke, deren Zeiger sich nicht bewegten. Der runde Esstisch mit den hohen grünen Stühlen. Dunkle Täfelung. Geblümte Tapete. Die Schreie von Jennifers Mutter. Der Zorn in den Augen ihres Vaters. Ihre Angst, ihre Panik, mit Händen zu greifen.
    Und dann Jennifer.
    Sie waren ungefähr im gleichen Alter gewesen, er und Jennifer. Ihr braunrotes Haar umspielte ein glattes, klares Engelsgesicht. Ihre grünen Augen funkelten wie Smaragde, die mit winzigen Flocken aus goldenem Karamell bestäubt waren.
    Sie hatten ihn in Bann geschlagen, diese wundervollen Augen, hatten eine Regung in dem noch menschlichen Teil in ihm ausgelöst, den sein Vater nicht völlig hatte ausmerzen können. In diesem Moment hatte er sie geliebt. Glaubte er zumindest. Die Empfindung war ihm so fremd gewesen, dass ihre wahre Herkunft unergründlich blieb.
    Während er ihr in die Augen geblickt hatte, überfielen ihn fremdartige Empfindungen, und er hatte sich nur noch gewünscht, dass dieses Mädchen glücklich wurde, dass sie ein normales Leben führte und all die Chancen bekam, die ihm von seinem Vater geraubt worden waren. Er liebte sie, und obwohl er wusste, dass seine Gefühle niemals erwidert werden konnten, wollte er, dass wenigstens Jennifer erlebte, was er in diesem Moment empfand. Er wollte, dass sie einem anderen in die Augen schaute und die gleiche Liebe verspürte wie er in diesen Augenblicken. Dann wäre es in gewisser Weise so, als empfände sie diese Liebe für ihn, weil er ihr das Leben und die Gelegenheit geschenkt hatte, diese Liebe zu erfahren.
    Heute jedoch wusste er, dass er Jennifer durch den Mord an ihrer Familie jeder Hoffnung auf Normalität beraubt hatte, genauso, wie sein Vater es bei ihm getan hatte. Durch ihren gemeinsamen Schmerz angesichts eines verlorenen Lebens in Festigkeit und Normalität waren sie auf ewig verbunden.
    Der Gedanke erfüllte ihn mit Traurigkeit. Er war wahrhaftig ein Monster, genau wie man es ihm immer wieder gesagt hatte.
    Ein Platschen riss ihn aus seinen Gedanken. Jemand eilte durch das Wasser auf ihn zu. Ackerman schob die Erinnerungen beiseite und konzentrierte sich auf das, was da kam.
    Zeit zum Spielen.

25
    David eilte durch den finsteren Gang. Auf dem Boden häufte sich der Schutt von den verfallenden Mauern,

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