Racheopfer
Kalter Schweiß brach ihm aus, doch er stemmte sich gegen die Wucht der Panikattacke. In seinem Bewusstsein hatte er einen Käfig errichtet, in dem er alle Schuld und Angst wegsperrte, doch die Gesichter der Freunde, die er verraten hatte, begleiteten ihn ständig als ungreifbare Schemen, die er aus dem Augenwinkel sah.
Er schloss die Augen und atmete tief durch. »Ferris, Sie kommen mit mir. Wir schlagen einen Kreis um den Kerl und schneiden ihm den Weg ab. Banks, rufen Sie jeden an, der Ihnen einfällt, und lassen Sie die Kavallerie kommen.«
»Darüber haben wir schon gesprochen, Mr. McNamara«, meldete sich der Klinikchef zu Wort. »Wir können nicht …«
»Verdammt noch mal, Kendrick, jetzt reicht es. Banks, ans Telefon. Wenn er versucht, Sie aufzuhalten, schießen Sie ihn nieder.«
David ging zur Tür, Ferris im Schlepptau.
»Warten Sie«, sagte Kendrick. »Ich komme mit. Vielleicht kann ich ihn überzeugen, sich ohne weitere Gewalt zu ergeben.«
»Wie Sie wollen, Doc«, sagte David, ohne sich zu Kendrick umzudrehen oder innezuhalten. »Aber wenn ich die Gelegenheit bekomme, erschieße ich den Hurensohn.«
21
Jennifers Handgelenke waren nass von ihrem Blut. Mit aller Kraft hatte sie versucht, das Lüftungsgitter aus der Wand zu reißen, hatte sich damit aber nur weitere Schmerzen zugefügt. Inzwischen hatte sie den Versuch aufgegeben, sich auf diese Weise zu befreien, und eine Änderung ihrer Taktik beschlossen: Sie versuchte, an den Schlüsselring zu kommen, der von Berts Gürtel hing.
Sie schüttelte sich die Schuhe ab und versuchte ihre Füße in Berts Achselgruben zu haken, um ihn näher heranzuziehen, doch sie musste rasch erkennen, dass der übergewichtige Tote zu schwer war. Allerdings gelang es ihr, die Leiche so weit herumzudrehen, dass sie den Gürtel mit den Zehen erreichen konnte.
Jennifer reckte sich. Die Handschellen schnitten in das wunde Fleisch ihrer Handgelenke, während ihre Zehen nach dem Schlüsselring tasteten. Sie konnte das Metall beinahe schon auf der Haut spüren. Nach kurzer Zeit waren ihre Füße blutig, aber sie ignorierte das feuchte, klebrige Gefühl.
Sie hielt kurz inne, um sich zu sammeln. Dann streckte sie sich noch mehr. Steif wie ein Brett lag sie da, als sie versuchte, sich so lang wie möglich zu machen. Die Handschellen schnitten tiefer in ihr Fleisch, doch sie beachtete den Schmerz nicht. Sie spürte, dass die Freiheit nur eine Haaresbreite entfernt war, stieß einen kehligen Schrei aus und streckte sich noch mehr.
Ihr großer Zeh fuhr über den Rand des Ringes und gelangte endlich hinein. Vorsichtig schüttelte sie den Ring weiter auf den Zeh und zog zaghaft daran. Es schien Stunden zu dauern, den Schlüsselring behutsam vom Gürtel des Toten zu lösen. Sie bekam einen Krampf im Fuß, und ein dumpfes Pochen quälte sie dort, wo ihr kleiner Finger gewesen war. Jennifer mobilisierte alle Willenskraft und drängte den Schmerz beiseite.
Mit einem Schnappen löste sich der Schlüsselring vom Gürtel.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und kämpfte gegen ihre Ungeduld an, als sie den Ring nun vorsichtig zu ihren Händen führte, indem sie sich auf den Rücken legte und ihren blutverschmierten Fuß an die ausgestreckten Finger brachte.
Als Schlüsselring und Fuß sich über ihrem Gesicht befanden, tropfte ihr Blut in den Mundwinkel. Angewidert spuckte sie es weg und schüttelte heftig den Kopf. Dabei rutschte ihr der Schlüsselring vom Zeh und fiel zu Boden. Tränen der Wut und Enttäuschung stiegen Jennifer in die Augen, und sie ließ ein leises Wimmern hören. Sie blickte zu der Stelle, wo der Ring vor der Wand gelandet war, und erkannte, dass sie ihn mit den Füßen nicht mehr erreichen konnte.
Nur eine Möglichkeit blieb ihr. Sie musste den blutigen Ring mit dem Mund aufnehmen und ihn zu den Händen führen.
Du kannst es schaffen , machte sie sich Mut. Du bist so weit gekommen, du kannst jetzt nicht aufhören.
Mithilfe der Meditationstechniken, die sie bei der PTSD-Therapie erlernt hatte, versuchte sie ihren Ekel vor dem Blut zu überwinden. Dann schloss sie die Augen und reckte den Hals zum Boden. Ihre Lippen fanden das Metall, und ihre Zähne packten den Ring. Sie versuchte sich einzureden, der warme metallische Geschmack in ihrem Mund käme von ein paar Münzen, aber es half nichts. Ihr Mageninhalt brannte ihr in der Kehle, und beinahe hätte sie den Ring zwischen den zusammengebissenen Zähnen ausgespuckt.
Dann aber hielt sie die Schlüssel in der
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