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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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sie die Flasche am Ventil auf, bevor sie scheppernd zu Boden fallen konnte.
    Ihr Puls beschleunigte sich. Sie lauschte. Nichts.
    Greta hatte aufgegeben, nach Alfons zu rufen. Mittlerweile musste sie begriffen haben, dass etwas nicht stimmte.
    Evelyn stellte die Flasche vorsichtig hin und tastete nach Sybils Beinen. Endlich fand sie das Mädchen und hockte sich neben sie hin.
    »Sybil, wir müssen von hier weg«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Steh auf, wir schleichen zur Terrassentür raus.«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. Evelyn griff nach ihrer Hand und spürte, wie sich Sybils Finger verkrampften. Sie versuchte, die Starre zu lösen, doch Sybil verwandelte sich mehr und mehr in einen Felsblock.
    »Wir müssen raus!«
    »Ich kann nicht.«
    Wenn Sybil nicht mithalf, würde sie sie unmöglich hochbekommen.
    Draußen kamen Schritte an der Küchentür vorbei. Evelyn erstarrte. Falls Greta jetzt die Tür aufstieß und das Licht anmachte, waren sie erledigt. Evelyn legte Sybil die Hand auf den Mund, um ihr Wimmern zu ersticken. Sie spürte Sybils Atem auf ihrer Handfläche.
    Ihre Gedanken überschlugen sich. Da die Haustür abgesperrt gewesen war, konnte sie nur hoffen, dass Greta darauf verzichten würde, alle Räume zu durchsuchen.
    Sie hörte, wie Greta in der Schublade einer Kommode kramte und das Fach anschließend zuschob. Danach entfernten sich die Schritte wieder. Im Vorraum blieb das Licht brennen. Kurz darauf sperrte Greta die Eingangstür ab. War sie draußen oder im Haus? Evelyn lauschte, doch es war nichts zu hören.
    Langsam nahm sie die Hand von Sybils Mund.
    »Hier können wir nicht bleiben«, flüsterte sie.
    Sybil schüttelte ruckartig den Kopf. Sie war ebenso paralysiert wie Evelyn vor einer Stunde, als ihr Kopf im Jutesack gesteckt hatte.
    Verzweifelt dachte sie nach. Sie konnte das Mädchen nicht allein im Haus zurücklassen. Denk nach, hämmerte sie sich ein. In der kurzen Zeit hatte sie nicht herausfinden können, weshalb Sybil Lisas Identität angenommen hatte. Der Grund dafür lag tief verborgen in ihrer Seele.
    Doch das Warum war im Moment auch unwichtig.
    »Was würde Lisa an deiner Stelle tun?«, wisperte Evelyn in Sybils Ohr.
    »Lisa?«
    »Ja, denk an Lisa. Sie würde aufstehen und mir folgen. Sie würde mit mir gemeinsam das Haus verlassen, nicht wahr?«
    Evelyn spürte, wie sich Sybils Muskeln unter dem Pullover entspannten. Sie packte das Mädchen unter den Achseln und hob es hoch. Bereitwillig folgte Sybil der Bewegung.
    »Geh mir nach«, wisperte Evelyn. Sie nahm Sybil an der Hand und zog sie hinter sich her. Die Finger der jungen Frau waren eiskalt. Sie klammerte sich wie eine Ertrinkende an Evelyns Hand.
    Als sie die Tür erreichten, spähte Evelyn durch den Spalt in den leeren Gang. Möglicherweise hielt sich Greta irgendwo versteckt und wartete nur darauf, dass sie die Küche verließen, um ihnen einen Bolzen in den Rücken zu jagen. Vielleicht glaubte sie sogar, mit der Erklärung durchzukommen, zwei Einbrecher auf frischer Tat ertappt zu haben.
    Evelyn hielt den Atem an und lauschte. Schließlich hörte sie das Schlagen einer Autotür auf dem Vorplatz.
    »Jetzt!« Sie schob die Tür auf und zog Sybil hinter sich her. So schnell wie möglich liefen sie durchs Wohnzimmer in den Wintergarten. Der Mond hatte sich hinter einer Wolke verkrochen. Aber durch die Scheiben der Terrasse schien das Licht des Leuchtturms. Im nächsten Moment war es verschwunden, tauchte aber nach wenigen Sekunden wieder auf.
    Evelyn tastete sich zur Tür, deren Scheibe Sybil eingeschlagen hatte. Als sie ins Freie trat, spürte sie den kühlen Nachtwind und den salzigen Geschmack der Meeresluft. Sybils Finger glitten durch Evelyns Hand. Das Mädchen stand immer noch im Türrahmen, als hinderte eine unsichtbare Macht sie, das Haus zu verlassen.
    »Komm!«, drängte Evelyn.
    Sybil rührte sich nicht vom Fleck.
    »Greta darf uns hier nicht finden«, flüsterte Evelyn.
    Sybil erstarrte. »Sie wird uns töten«, presste sie hervor.
    Wo war das selbstbewusste Mädchen von vorhin? In diesem Moment wäre Lisas Identität hilfreicher gewesen.
    »Denk an Lisa!«, schärfte Evelyn ihr erneut ein.
    »Aber ich bin nicht Lisa! Am liebsten wäre ich unsichtbar …«
    »Wir müssen nur über die Terrasse in den Garten und ums Haus laufen. Vor dem Eingang parkt mein Wagen. Wir springen rein und fahren los.«
    »Das schaffen wir nicht.«
    »Und ob wir das schaffen!« Evelyn griff nach Sybils Hand und zog sie zu sich ins

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