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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Fensterscheibe. Die Laube war vollgestellt mit Fahrrädern, Farbeimern, Gartenrechen, einem Rasenmäher, Düngersäcken, Campingstühlen, Sitzauflagen, Tischtüchern und Wandtellern, die an der Bretterwand hingen. Hier waren sie vorerst sicher.
    Es roch muffig. Nirgends gab es Platz, um sich hinzusetzen. Die Hütte war so vollgestopft, dass sie sich nicht einmal in eine Ecke auf den Boden kauern konnten.
    Sybils Kopf sank an Evelyns Brust. Ihr Körper bebte. Evelyn nahm sie in die Arme und presste sie an sich. Nur noch wenige Minuten, dachte sie. Dann würde die Polizei auf dem Grundstück erscheinen, um nach den vermeintlichen Einbrechern zu suchen. Wie gern würde Evelyn sich den Beamten stellen, um wegen Ruhestörung oder Hausfriedensbruchs festgenommen zu werden …
    Sie spähte durch die schmutzige Scheibe. Greta war nirgends zu sehen. Außerdem hatte sie aufgehört, nach Evelyn zu rufen.
    In diesem Moment begann Sybil laut zu schluchzen.
    »Still«, zischte Evelyn, doch Sybil konnte sich nicht beruhigen.
    Evelyn strich ihr übers Haar und drückte sie an sich. »Wir haben es gleich geschafft.«
    Wieder spähte sie durchs Fenster. Mittlerweile stand Greta vor der Terrasse. Hoffentlich bemerkte sie die eingeschlagene Scheibe in der Tür des Wintergartens und betrat das Haus. Evelyn schickte ein Stoßgebet zum Himmel.
    Und tatsächlich ging Greta die Steintreppe zur Terrasse hinauf und betrachtete das kaputte Glas. Dann verschwand sie ins Haus. Evelyn stieß die angehaltene Luft aus. Bis Greta sämtliche Räume der Villa nach Einbrechern durchsucht hatte, würde einige Zeit vergehen.
    »Wir haben es bald überstanden«, flüsterte Evelyn.
    Jetzt war eine günstige Gelegenheit, um abzuhauen. Doch wohin, ohne Auto? Sollte sie mit Sybil im Schlepptau über das verschlossene Gartentor klettern? Auch wenn die Sekunden nur zäh vergingen, war es besser, in der Gartenlaube auf die Polizei zu warten. Andernfalls würde Greta den Beamten eine haarsträubende Geschichte auftischen.
    Offensichtlich spürte das Mädchen Evelyns Unruhe, da sie wieder laut zu schluchzen begann.
    »Beruhige dich, Greta ist ins Haus gegangen …« Mist! Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen - als Sybil Gretas Namen hörte, bekam sie erneut einen Weinkrampf.
    Evelyn starrte durchs Fenster. Im Haus gingen einige Lichter an.
    Sybil weinte sich die Seele aus dem Leib.
    »Was hat man dir nur angetan?«, flüsterte Evelyn, als sie die vielen Tränen und das erbärmliche Heben und Senken des Brustkorbs spürte.
    »Die Friedberg.« Die Tränen liefen Sybil übers Kinn.
    »Du warst nie auf der Friedberg«, erwiderte Evelyn. Glaubte Sybil das immer noch? »Du kennst dieses Schiff nur aus Lisas Erzählungen.«
    Sybil schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich war vor Lisa auf dem Schiff. Es ist zwölf Jahre her …«
    Evelyn rieselte ein Schauer über den Rücken. Während Sybil weitersprach, erkannte sie endlich die schreckliche Wahrheit.
     
    65
     
    »Sie setzten mich an der französischen Küste aus«, schluchzte Sybil.
    Evelyns Gedanken rotierten. Was hatte Pulaski noch gemurmelt, als sie mit ihm in der Cafeteria der Klinik gesprochen hatte? In Frankreich und Griechenland waren ebenfalls Kinder in Küstennähe ausgesetzt worden!
    Von Smolle wusste sie, dass Hockinsons neuntägige Kreuzfahrten durchgehend von Mai bis August stattgefunden hatten. Doch nun begriff sie, dass die Schiffsreisen nicht nur 1998, sondern jedes Jahr veranstaltet worden waren. Stets auf einer anderen Route. An der Adria, Riviera, Ägäis oder an der Cote d’Azur. Wie lange schon?
    Bei dem Gedanken wurde ihr übel. Wäre Manuel damals nicht gestorben, hätten die Fahrten vermutlich noch weitere Jahre angedauert. Wie viele Kinder waren während dieser Jahre an Bord gewesen?
    »Worüber hat Lisa in deinem Zimmer im Schlaf gesprochen?«, fragte sie. »Hat sie von dem Schiff erzählt?«
    Sybil schüttelte den Kopf. »Sie hat nur einen Namen erwähnt… Paul Smolle. Da erinnerte ich mich an das Schiff. Smolle war der einzige Name, den ich hinter der verschlossenen Kabinentür je gehört hatte. Er brachte mir Essen, Seife und Kleider.« Sybil verkrampfte sich, dann hustete und würgte sie. »In diesem Moment wusste ich, was mit Lisa geschehen war.«
    »Hast du je mit ihr darüber gesprochen?«
    »Anfangs nicht. Aber nachdem wir Freundinnen geworden waren, habe ich ihr meine Geschichte erzählt. Eines Tages sprach sie von Manuel. Er starb an Bord …«
    »Ich weiß, Smolle

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