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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Schlaf…«
    Daher kannte Sybil also Lisas Geschichte. Doch reichte das aus, um völlig in die Identität einer anderen Person zu kippen und deren Rachepläne zu übernehmen? Evelyn erinnerte sich an Pulaskis Worte. Was immer hinter der Geschichte steckte, sie würde es irgendwann herausfinden. Doch zunächst war sie Anwältin und musste einen Mord verhindern. Langsam griff sie nach der Hand des Mädchens. »Das Töten muss ein Ende haben«, flüsterte sie.
    »Die haben damit begonnen«, schluchzte sie.
    »Aber dadurch bist du um nichts besser als sie.«
    »Sie dürfen nicht weiterleben.«
    »Ich verstehe, dass sie ihre gerechte Strafe erhalten sollen, aber dadurch hast du etwas viel Schrecklicheres ins Rollen gebracht.«
    Sybil hob den Blick. »Was kann schrecklicher sein, als monatelang auf einem Schiff eingepfercht zu sein und nur zu einem einzigen Zweck aus der Kabine gezerrt zu werden?«
    Evelyn zögerte einen Moment, doch um Sybil zu stoppen, musste das Mädchen die Wahrheit erfahren. »Bolten hat begonnen, die Opfer von damals der Reihe nach zu töten.«
    »Ich hab das Schwein angezündet.«
    »Ich weiß, ich habe es gesehen, aber das Morden muss jetzt aufhören. Lisa ist am Leben. Ein anderes Mädchen namens Lesja auch, doch drei Kinder mussten sterben - wie Lisas Bruder.«
    »Und ich bin daran schuld?« Sybil kaute an den Fingernägeln. Plötzlich würgte sie. Erneut schossen ihr die Tränen in die Augen. »Was hab ich getan?« Ihr Oberkörper wippte vor und zurück.
    Evelyn setzte sich neben sie und legte ihr vorsichtig den Arm um die Schultern. Sie musste Sybil nicht an sich drücken - deren Kopf sank von allein auf ihre Brust. Sie spürte, wie sich der zitternde Körper an sie schmiegte. Sybil wirkte so kalt, als wäre sie halb erfroren. Plötzlich hatte Evelyn das Bedürfnis, sie zu streicheln und ihren Körper zu wärmen. Während sie dem Mädchen über Schulter und Rücken strich, umklammerten Sybils Arme ihre Taille. Dann schluchzte das Mädchen los, wie Evelyn noch nie jemanden schluchzen gehört hatte.
    In diesem Moment fühlte sich Evelyn, als hielte sie ihre Schwester in den Armen. Was hätte sie nur für diesen Moment gegeben! Wenn sie ihre Schwester doch nur hätte retten können … und damit auch ihre Eltern.
    Sie strich Sybil durchs Haar. »Es wird alles gut, das verspreche ich dir. Ich bleibe an deiner Seite.«
    Sybil versuchte, den Kopf zu schütteln.
    »Lass mich dir helfen …« Plötzlich verstummte Evelyn.
    Ein Geräusch im Haus!
    Sie fuhr hoch und lauschte. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Ein Schlüsselbund klimperte in der Tür. Dann erfüllten Schritte die Villa.
    »Alfons?«
    Beim Klang der Stimme, die durch den Vorraum hallte, versteifte sich Sybils Körper. Greta Hockinson hatte das Haus betreten.
     
    63
     
    »Keinen Laut!«, flüsterte Evelyn. Sie sprang auf, lief auf Zehenspitzen zur Küchentür und legte den Lichtschalter um.
    Schlagartig wurde es finster. Hinter dem Küchenfenster wiegten sich die Zweige im Wind. Dahinter schien der Mond.
    Evelyn versuchte, sich zu erinnern. Von der Grundstücksauffahrt und dem Hauseingang war unmöglich zu erkennen, ob in der Küche Licht brannte oder nicht. Mit etwas Glück hatte Greta nichts bemerkt.
    Erst jetzt ging im Korridor die Deckenbeleuchtung an. Reflexartig schob Evelyn die Tür zu. Durch den schmalen Spalt hörte sie, wie jemand in den Gang trat.
    »Alfons? Deine Wagentür steht offen.«
    Evelyn wartete. Sybil saß zusammengekauert in der Ecke und gab nur leise Atemgeräusche von sich. Hoffentlich hielt sie den Mund.
    »Alfons?« Diesmal klang Gretas Stimme näher - mit einem skeptischen Unterton.
    Evelyn hörte, wie sich die Tür zu Gretas Arbeitszimmer öffnete. Das Klicken des Lichtschalters folgte.
    Sie spähte durch den Türspalt zum Ende des Gangs, sah aber nur einen Schatten an der Bücherwand des Arbeitszimmers. Kurz darauf erklang ein weiteres metallenes Klicken … wie das Öffnen einer Glasvitrine.
    Evelyn erstarrte, als sie daran dachte, was sich in der Vitrine befand. Sie hörte, wie eine Schachtel geöffnet wurde und danach eine Sehne knarrte. Vielleicht bildete sie sich das Geräusch nur ein, aber im Geiste stellte sie sich vor, wie Greta ihre Sportarmbrust spannte und einen Bolzen auf die Schiene legte.
    Evelyn ließ die Küchentür einen Spaltbreit offen und schlich in der Dunkelheit an den Platz zurück, wo Sybil saß. Dabei stieß sie die Gasflasche mit dem Fuß um.
    »Scheiße!«, zischte sie. Rechtzeitig fing

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