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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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zu verhindern, dann sollten Sie das tun.«
    »Möglicherweise haben Sie Recht.« Sie wandte sich zur Tür.
    »Nehmen Sie die Waffe mit!«, rief er ihr nach.
    »Auf eine Tür zu schießen ist etwas anderes, als auf einen Menschen zu schießen.« Sie würde die Waffe nicht brauchen.
    Während sie in der Dunkelheit die Treppe hochstieg, rief sie sich die Strecke zur Hockinson-Villa in Erinnerung. Sie würde nicht einmal zehn Minuten dorthin benötigen. Ziemlich sicher traf sie dort auf Greta … und Sybil.
    Allerdings war noch offen, auf wessen Seite sie stehen würde, wenn sie dort ankam.
     
    63
     
    Das Gartentor zur Hockinson-Villa stand offen. Diesmal versperrte kein Kastenwagen der Firma Sicuro die Zufahrt. Evelyn lenkte ihr Auto auf das Grundstück und fuhr auf dem Schotterweg zum Haus. Mittlerweile war es dunkel geworden. Im Scheinwerferlicht sah sie, dass Boltens Mercedes direkt vor der Treppe zum Hauseingang parkte. Evelyn hielt unmittelbar dahinter. Sie stieg aus, sperrte ab und ging zu Boltens Wagen. Die Autotür stand offen, der Schlüssel steckte, doch von Sybil fehlte jede Spur.
    Evelyn blickte sich im Garten um. Offensichtlich hatten die Monteure der Sicherheitsfirma ihre Arbeit noch nicht beendet, denn unter dem Vordach des Pavillons standen eine Werkzeugkiste und mehrere Kabeltrommeln. Dahinter glitzerte die schwarze Oberfläche des Seerosenteichs.
    »Greta?«, rief Evelyn, während sie den Weg aus Waschbetonplatten betrat, der ums Haus führte.
    Keine Antwort.
    Die Lampe neben dem Kameraobjektiv wirkte so leblos wie das Haus. Offenbar funktionierten die Videokameras unter dem Dachvorsprung noch immer nicht.
    An der Rückseite der Villa erreichte Evelyn die Terrasse und den Wintergarten, in dem sie gestern Mittag mit der Hausherrin Tee getrunken hatte. War das wirklich erst vor etwas mehr als vierundzwanzig Stunden gewesen? Sie dachte an ihr Bauchkribbeln, das sie nicht getrogen hatte. Aber merkwürdigerweise hatte sie es nicht gespürt, als sie in der Dunkelheit Sybil gegenübergestanden war. Hatte sie zu wenig darauf geachtet?
    »Greta?«
    Evelyn nahm die Stufen zur Terrasse. Eine salzige Brise wehte vom Meer herüber. Vereinzelt glitzerten Schaumkronen auf der schwarzen See. Über dem Horizont schimmerte nur noch ein schmaler, glutroter Streifen. Es wurde kühl.
    Das Licht eines nahe gelegenen Leuchtturms spiegelte sich in den Scheiben. Ähnlich wie auf Boltens Terrasse war auch hier eine Glastür eingeschlagen worden. Je näher Sybil ihrem Ziel kam, desto abgebrühter wurde sie. Den Mord an Bolten würde ihr wohl kaum noch jemand als Unfall abnehmen. Wozu auch? Mit der letzten Tat an Greta würde sie ihren Rachefeldzug abgeschlossen haben. Was hatte sie danach vor? Lisa in der Psychiatrie Ochsenzoll besuchen, um ihr zu erzählen, dass es vollbracht sei? Hatte sie noch Geld von dem Einbruch übrig? Würde sie sich mit einer anderen Person identifizieren, um deren Rachepläne zu übernehmen?
    Als im Haus ein Licht anging, schreckte Evelyn aus den Gedanken. Sie schob die Tür auf und betrat den Wintergarten. Im Dämmerlicht erkannte sie den Tisch, die Kommode und die Rattanstühle. Sie ging durchs Wohnzimmer in den langen Korridor, der zu Gretas Arbeitszimmer führte. Der Lichtschein kam nicht aus diesem Raum, sondern fiel durch die offene Küchentür.
    Evelyn trat ein. In der modernen und kühl eingerichteten Küche mit Stahldekor und einer Kochstelle mit monströser Dunstabzugshaube in der Mitte kauerte Sybil auf dem kalten Fliesenboden.
    Das lange blonde Haar war ihr ins Gesicht gefallen. Sie hantierte am Ventil einer riesigen Gasflasche. Daneben lagen Drähte, einige Kerzen und eine Streichholzschachtel auf den Kacheln.
    Evelyn trat näher. »Sybil?«, flüsterte sie.
    Die junge Frau schreckte hoch. Mit einer Hand wischte sie sich die Haare aus der Stirn. Gleichzeitig riss sie jedoch die andere Hand hoch - aus ihrer Faust ragte der kurze Lauf eines Damenrevolvers.
    »Nehmen Sie die Waffe runter, Sybil. Ich will Ihnen nichts tun.« Evelyn versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen, doch ihre Stimme zitterte, sodass sie die Worte nur mühsam herausbrachte.
    Sie sah, dass der Hahn der Waffe gespannt war. Ein antiquierter Trommelrevolver. Die Mündung deutete geradewegs auf ihren Kopf.
    »Sie sind zu früh gekommen.« Sybils Stimme klang kräftig und selbstbewusst. Und der norddeutsche Akzent - eine perfekte Imitation von Lisas Stimme. Mit den feinen, schmalen Gesichtszügen und den eindrucksvollen

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