Rachesommer
eingedrungen.«
Sie nannte ihre Adresse. »Ich fürchte, sie befinden sich noch auf dem Grundstück.«
Evelyn stockte der Atem. War diese Frau verrückt? Weshalb verständigte sie die Polizei? Das konnte nur bedeuten, dass sie Evelyn und Sybil töten musste, bevor die Beamten eintreffen würden.
»Ja, schicken Sie bitte so schnell wie möglich einen Streifenwagen her.« Greta unterbrach die Verbindung und steckte das Handy weg.
Sie verließ den Platz vor dem Haupteingang und ging mit großen Schritten in den Garten.
»Frau Meyers!«, rief sie, während sie die Armbrust an die Schulter legte. »Bringen wir es zu Ende!«
64
Im Flutlicht warf Greta Hockinsons Körper einen langen Schatten über den Rasen. Sie ging direkt auf den Holzpavillon zu. Was hatte sie vor? Sobald sie an der Laube vorbei war, würde sie nicht einmal zehn Sekunden benötigen, bis sie die Heckenreihe erreichte, hinter der Evelyn und Sybil lagen.
Evelyn blickte zu ihrem Wagen. Für einen Moment dachte sie daran, mit Sybil zur Auffahrt zu laufen und sich im Auto zu verstecken. Mit zwei Platten wäre eine Flucht zwar möglich, doch würde sie mit dem Audi unmöglich das geschlossene Gartentor durchbrechen können. Für diesen Wagen war das Eisengitter zu massiv. Außerdem stand Gretas Motorrad im Weg.
Während sich Sybils Finger in Evelyns Pullover verkrallten, hielt Evelyn nach Greta Ausschau. Die Hausherrin näherte sich der Gartenlaube und der Heckenreihe. Hastig sah Evelyn sich um. Sie konnten ins Haus zurücklaufen - es sei denn …
Greta marschierte direkt auf den Pavillon zu. Offensichtlich vermutete sie sie in der Laube. Dachte sie tatsächlich, Evelyn wäre so dumm, sich in der kleinen Hütte zu verstecken, die keinerlei Fluchtmöglichkeit bot?
Die Holztür war einen Spaltbreit offen. Daneben standen die Werkzeugkiste und einige Kabeltrommeln. Mit der Armbrust im Anschlag schob Greta den Stiefel in den Spalt und stieß die Tür auf. Flink visierte sie jeden Winkel in der Hütte an.
Evelyns Herz raste. Der Schlüssel steckte im Schloss. Wenn sie Glück hatten, sperrte Greta die Tür der Gartenlaube nicht ab und ließ den Schlüssel stecken.
Greta unterdrückte einen Fluch. Zornig trat sie die Tür zu, machte kehrt und ging zum Seerosenteich. Während sie sich von Evelyns Versteck entfernte, lag deren Blick noch auf dem Pavillon.
»Komm mit«, wisperte Evelyn. Sie erhob sich und lief gebückt an den Hecken entlang. Als sie sich kurz umwandte, sah sie, dass Sybil ihr folgte. Gras und nasse Erde klebten auf ihrer Hose und dem Pullover.
Am Ende der Heckenreihe stoppten sie. Von dieser Stelle bis zum Pavillon waren es nur wenige Meter über die freie Wiese. Sie mussten den richtigen Zeitpunkt abwarten - wenn Greta hinter einem Baum verschwunden war -, um dann rasch loszulaufen.
»Evelyn?«, rief Greta. »Ich weiß, dass Sie hier sind.« Gar nichts weißt du, dachte Evelyn.
Mit der Armbrust im Anschlag ging die Hausherrin am Ufer des Seerosenteichs entlang. Gleich würde sie hinter dem Schilf und einigen Tannen verschwinden.
Evelyn wartete angespannt.
»Jetzt!« Sie lief los und zog Sybil hinter sich her. Nach wenigen Schritten erreichten sie die Seitenwand der Gartenlaube und pressten sich an die Bretter. Es roch nach Harz und Teerpappe. Die Regenrinne führte in ein volles Wasserfass, in dem einige Tannennadeln trieben.
Evelyn warf einen kurzen Blick zu Sybil. Ihr Gesichtsausdruck wurde von einer quälenden Ungewissheit überschattet. Einmal mehr fragte sie sich, wie diese junge Frau so viele Männer hatte ermorden können. In dieser Verfassung - zitternd und kurz vor einer Ohnmacht - wäre sie nicht einmal imstande, das Tor zu erreichen, ohne vorher zusammenzubrechen. Evelyn nahm ihre Hand und zog sie weiter, an der Bretterwand entlang. Greta musste bereits den Seerosenteich umrundet haben und war jetzt bestimmt auf dem Weg zur Terrasse.
Vorsichtig spähte Evelyn um die Ecke. Von Greta nichts zu sehen. Sie griff nach der Klinke. Hoffentlich quietschte das verdammte Ding nicht. Vorsichtig zog sie die Tür einen Spaltbreit auf. Beinahe hätte sie eine der Kabeltrommeln umgestoßen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie stieg über die Trommel, öffnete die Tür und schlüpfte ins Dunkel.
»Schnell«, wisperte sie.
Sybil folgte ihr.
Evelyn schob die Tür zu, riskierte aber nicht, das Schloss einschnappen zu lassen, sondern lehnte die Tür nur an. Der Schein der Flutlichtanlage fiel durch die verschmierte
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