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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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hat mir davon erzählt. Ich war bei ihm, so wie du. Sybil, warum hast du das alles getan?«
    Sybil nahm die Hand hoch und kaute wieder an den Fingernägeln. »Lisa ist meine einzige Freundin, aber sie haben sie zerstört. Ich musste sie retten, musste das für sie tun. Sie hat sonst niemanden.«
    »Hat sie dich darum gebeten?«, fragte Evelyn, obwohl sie ahnte, dass Lisa keine Ahnung hatte, was in den letzten beiden Monaten außerhalb der Anstalt passiert war.
    »Lisa hätte es selbst getan, doch die würden sie nie unbeaufsichtigt aus der Anstalt lassen.« Sybil stopfte die Fingerkuppen in den Mund, als wollte sie den Fluss der Tränen stoppen. »Ach, hätte ich doch nur ihren Zorn und ihren eisernen Willen.«
    »Deshalb hast du mit einundzwanzig Jahren die Therapie abgebrochen und bist ins Wohnheim übersiedelt?«
    »Ich musste Smolle finden«, presste Sybil hervor. »Er war der Einzige, der uns helfen konnte.«
    Uns? Augenscheinlich tat sie es für Lisa, aber nur, um vom wahren Grund abzulenken. Doch mittlerweile wurde Evelyn klar, dass Sybil in Wahrheit gar nicht ihrer Freundin helfen wollte. Evelyn konnte es sich nur so erklären, dass Sybils Psyche jahrelang nach einem Weg gesucht hatte, ihre eigene verdrängte Vergangenheit zu bewältigen - und ihn schließlich gefunden hatte. Es klang verrückt, aber vermutlich musste Sybil in Lisas Rolle schlüpfen und sich deren Aggression aneignen, um das zu tun, was sie allein nie zustande gebracht hätte: sich an den Männern zu rächen und den eigenen Schmerz in Wut zu verwandeln. Offenbar hatte sie auf diese Weise versucht, sich selbst zu heilen.
    Sybil begann wieder zu schluchzen.
    Erst jetzt fiel Evelyn auf, dass sie völlig vergessen hatte, die Terrassentür im Auge zu behalten. Was, wenn Greta die Villa in der Zwischenzeit verlassen hatte und wieder durch den Garten schlich?
    »Leise!«, flüsterte Evelyn.
    Sie spähte durchs Fenster. Der Rasen wurde nach wie vor in gleißendes Flutlicht getaucht - doch von Greta fehlte jede Spur. Kein Schatten hinter den Fenstern der Villa. Wann tauchte die Polizei endlich auf? Sie standen bestimmt schon zehn Minuten in der Hütte.
    Da hörte sie ein Geräusch vor dem Schuppen. Augenblicklich versteifte sie sich. Im nächsten Moment wurde die Tür der Gartenlaube einen Spaltbreit geöffnet.
     
    66
     
    Ein Lichtstrahl fiel ins Innere. Evelyn hielt den Atem an. Unwillkürlich nahm sie Sybil in die Arme und presste sie fester an sich. Das Mädchen zitterte unaufhörlich und wollte sich überhaupt nicht mehr beruhigen.
    Im düsteren Licht des Raums sah Evelyn, wie sich die Klinke bewegte. Die Tür schwang auf, und Greta stand im Eingang, die Armbrust im Anschlag. Der Bolzen zeigte genau auf Evelyns Kopf.
    Greta wollte bereits den Auslöser betätigen, als sie zurückzuckte. Verwirrt starrte sie auf Sybil. Offensichtlich hatte sie damit gerechnet, Evelyn allein vorzufinden.
    »Ich werde verrückt«, murmelte Greta. Fasziniert starrte sie auf Sybils langes blondes Haar. »Gratuliere. Sie haben die Frau auf dem Phantombild tatsächlich gefunden … und auch noch hergebracht. Hinter welchem Stein hatte die Kleine sich verkrochen?« Greta neigte den Kopf, um zwischen Sybils Haaren einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen. »Wie hat es diese kleine Schlampe nur geschafft, meinen Vater mit einem Seidenschal zu erwürgen?«
    Beim Klang von Gretas Stimme begann Sybil wie bei einem epileptischen Anfall zu zucken. Evelyn hatte Mühe, sie ruhig zu halten. Noch dazu war der Bolzen immer noch auf ihren Kopf gerichtet.
    »Sie kommen mit Ihrer Einbrechergeschichte niemals durch«, presste Evelyn hervor. Ihr Gaumen war trocken.
    »Welche Einbrechergeschichte?« Gretas Stimme strotzte vor Hohn. »Herzchen, Sie dachten doch nicht wirklich, ich würde die Bullen rufen?«
    Evelyns Herzschlag setzte für einen Moment aus. Aber sie hatte die Frau doch telefonieren hören!
    »Wen, glauben Sie, habe ich angerufen?« Greta kostete den Augenblick der Macht genüsslich aus.
    Da dämmerte es Evelyn. Sie war so dumm gewesen. »Alfons Bolten«, krächzte sie.
    »Kluges Kind. Sein Wagen steht in meiner Einfahrt, und von ihm fehlt jede Spur.« Sie betrachtete Sybil. »Ich wusste gar nicht, dass die Kleine Auto fahren kann.«
    Sie machte einen Schritt zurück und sah sich kurz um. »Er ist nicht ans Telefon gegangen. Was haben Sie mit ihm gemacht?«
    Evelyn schluckte. Bestimmt war es keine gute Idee, Greta die Wahrheit zu erzählen. Wie hatte Bolten es formuliert,

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