Rachesommer
verzog das Gesicht. Ihre Finger waren blutig.
Evelyn ging auf sie zu. »Legen Sie die Armbrust weg!«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Pulaski seine Waffe unter dem Wagen hervorzog. Er hielt sie in der linken Hand, da der Bolzen in seiner rechten Schulter steckte. Evelyn bemerkte die durchtrennte Kette der Handschellen, die an seinen Handgelenken hingen.
»Ich laufe ins Haus und rufe den Notarzt«, sagte sie und merkte im gleichen Moment, wie absurd das klang, angesichts des Krankenwagens vor ihren Augen.
»Nicht nötig.« Er rappelte sich auf. »Ich habe die Sache unter Kontrolle, danke. Polizei und Sanitäter müssten jeden Augenblick hier eintreffen.« Er deutete zur Gartenlaube. »Kümmern Sie sich um Ihre Freundin.«
Evelyn sah zum Pavillon hinüber. Sybil kauerte im Türrahmen. »Ich hoffe, Sie werden nicht ohnmächtig.«
»Keine Sorge«, erwiderte Pulaski, »im Moment habe ich so viel Adrenalin im Blut, dass ich einen Marathon laufen könnte.« Er trat zu Greta. »Auf die Knie. Hände über den Kopf, Gesicht zu Boden. Sie sind verhaftet…«
Während Pulaski seinen Spruch aufsagte, lief Evelyn zum Pavillon.
Als sie näher kam, streckte Sybil ihr bereits zögerlich die Hände entgegen. Sie wollte umarmt werden.
So sehr Evelyn sich bis zu diesem Moment auch zusammengerissen hatte, jetzt liefen ihr zum ersten Mal selbst die Tränen übers Gesicht.
68
Eine Viertelstunde später standen zwei weitere Krankenwagen und eine Menge Polizeieinsatzfahrzeuge in der Auffahrt zur Hockinson-Villa.
Die Beamten sperrten das Grundstück ab. Einige durchsuchten das Haus von oben bis unten, andere patrouillierten mit Hunden durch den Garten. Greta war von einer Sondereinheit der Kripo verhaftet und abtransportiert worden.
Evelyn bahnte sich einen Weg zu dem Krankenwagen, in dem Pulaski lag.
Die Hecktür stand offen. Pulaski hing an mehreren Infusionsflaschen. Die Sanitäter hatten sein Hemd aufgeschnitten und die Blutung mit einem Druckverband gestillt. Er roch nach Antiseptika und sah schrecklich aus. Der Bolzen ragte immer noch aus seiner Schulter.
Evelyn kletterte in den Wagen und setzte sich neben ihn. »Wie geht es ihm?«, fragte sie den Arzt.
»Prächtig«, antwortete Pulaski, bevor der Sanitäter etwas sagen konnte. »Die haben mir ein Mittel gespritzt, das ziemlich high macht.« Er versuchte zu lächeln, verzog aber schmerzvoll das Gesicht.
»Nicht bewegen!«, ermahnte ihn der Arzt.
»Vielleicht komme ich nach Bremerhaven ins Krankenhaus«, murmelte Pulaski. »Dort kenne ich einen Chirurgen … Doktor Vobelski… zu dem habe ich Vertrauen. Die haben kürzlich auf ein neues Computersystem umgestellt, aber der Mann kann operieren, sag ich Ihnen. Er war früher auf der Intensivstation, aber mittlerweile ist er Chefarzt der Inneren Medizin.«
Evelyn warf dem Arzt einen fragenden Blick zu. Dieser tippte mit dem Finger auf eine Infusionslösung, die über Pulaski an einem Gestänge hing.
»Verstehe.« Evelyn beugte sich näher zu Pulaski. »Ich weiß nicht, ob wir uns so bald wiedersehen. Ihr Wagen steht noch in Hamburg.«
»Kein Problem. Die alte Schrottmühle wird mir so schnell keiner klauen.«
Hinter ihr marschierten Beamte vorbei, die sich über Funk unterhielten. Einige Hunde kläfften.
»Sie haben ein ziemliches Aufgebot herbestellt.«
Er grinste. »Als ich in Boltens Keller an den Heizungsrohren hing, habe ich einen Krankenwagen gerufen und meinen Chef in Leipzig verständigt. Er hat sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt und für diesen Rummel gesorgt.«
»Ist gar nicht so übel, oder?«
»Leipzig?«
»Nein, Ihr Chef.«
»Ach, Horst Fux?« Pulaski verzog den Mund. »Er wird mir zwar die Leviten lesen, aber er ist schon in Ordnung.«
Evelyn berührte die Handschellen, die immer noch an Pulaskis Handgelenken hingen. »Wie konnten Sie sich befreien?«
Er lächelte. »Die Sanitäter, die mich im Keller gefunden haben, haben mich mit der Kneifzange befreit und mir ein Gegenmittel injiziert. Während sie auf der Wiese Boltens Überreste bewunderten, ließ die Wirkung des Botox nach. Da habe ich mir ihren Wagen ausgeliehen. Die armen Kerle stehen wahrscheinlich immer noch dort.«
»Ausgeliehen?«, wiederholte Evelyn. »Und dabei die Kühlerhaube zu Schrott gefahren?«
»Ich wollte Sie retten.«
Sie sah ihn lange an. »Was Sie nicht sagen.«
»Nein, ehrlich. Als ich das Flutlicht und das geschlossene To sah, wusste ich, dass etwas nicht stimmt.«
»Sie sind ein schlechter Lügner!«,
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