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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Nackenstütze gepresst.
    »Schlaf gut, mein Prinz«, flüsterte sie.
    Nur noch wenige Meter bis zum Abgrund.
    Aus dem Auspuff qualmte eine stinkende Wolke.
    Schließlich rollten die Vorderreifen über die Klippe. Lisa stemmte sich ein letztes Mal gegen das Heck. Der Schal war mittlerweile zum Zerreißen gespannt.
    Plötzlich gab der Widerstand nach, das Cabrio glitt über die Kante. Mit einem Splittern und Krachen stürzte der Wagen den Abhang hinunter, überschlug sich und blieb wenige Meter vor dem Leuchtturm liegen.
    Lisa wandte sich ab. Sie blickte auf ihre dreckigen Hände und an ihrem ölverschmierten Kleid hinunter. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie barfuß war.
    Wo waren ihre Schuhe?
    Sie sah sich um.
    Ihr schwindelte.
    Am Straßenrand lag ein Paar eleganter Schuhe. Lisas Stöckelschuhe! Wie kamen die dorthin?
    Wo war Lisa überhaupt? Sybil sah sich um.
    Am Ende des Abgrunds lag ein verbeulter Wagen mit einer männlichen Leiche darin. Das Bild vor ihren Augen flimmerte. Sie griff sich an die Schläfen. Plötzlich waren wieder diese schrecklichen Kopfschmerzen da. Dieser Anblick! Hatte sie es schon wieder getan? Wie konnte das nur passieren? Das schlechte Gewissen krampfte ihren Magen zusammen. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Schädel jeden Moment zerspringen.
    Ich habe es für Lisa getan, schärfte sie sich ein. Um diese Sache endlich zu erledigen. Sie wiederholte den Satz wie ein Mantra. Immer und immer wieder.
    Ich habe es für Lisa getan!
    Endlich ließ der Druck nach.
    Mit den Schuhen in der Hand lief sie über den Asphalt der Küstenstraße zum nächsten Ort. »Ich wollte dir doch nur helfen«, murmelte sie. Dir doch nur helfen.
     
    Epilog
     
    Drei Tage nach den Ereignissen in Cuxhaven wurde Pulaski endlich aus dem Krankenhaus entlassen.
    Während er ans Bett gefesselt war, hatten die Ärzte permanent an seiner Schulter herumgedoktert. Zumindest hatten ihm die Quacksalber ein Einzelzimmer mit Blick auf den Park an der Delitzscher Straße gegeben. Er hatte nicht einmal Bukowskis Hot Water Music zu Ende lesen können, da ihn seine Tochter und die Kollegen vom Revier besuchten, die Beamten des LKA Sachsen, die Ermittler aus Flensburg und sogar die hohen Tiere aus Hamburg und vom LKA Niedersachsen. Außerdem hatte sich Staatsanwalt Kohler, der Lackaffe, in sein Krankenzimmer bequemt, um ein Gespräch unter vier Augen mit ihm zu führen. Wenn er das schon hörte - unter vier Augen!
    Trotz des ganzen Trubels kam Pulaski glimpflich davon. Horst Fux hatte ihn während der gesamten letzten Woche in den Dienst gestellt, und er hatte in dieser Zeit immerhin mehrere Morde aufgeklärt, Boltens Leichnam sichergestellt sowie Sybil und Greta Hockinson verhaften können. Ohne die junge Anwältin aus Wien wäre das natürlich nie so rasch über die Bühne gegangen. Aber der Zufall wollte es nun mal, dass er sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort getroffen hatte.
    Natürlich zog der Fall einen Rattenschwanz an bürokratischen Komplikationen mit sich, aber für so etwas waren die Sesselpupser in den Ministerien zuständig. Ein wenig gefiel sich Pulaski sogar in der Rolle des »Helden«, wie ihn ein Reporter der Leipziger Volkszeitung in einem Artikel nannte. Zumindest war Pulaski das für seine Tochter, denn er hatte wie versprochen den Mörder von Natascha Sommer gefunden. Ein Lokalsender hatte sogar eine kurze Reportage über ihn gebracht, und er war für etwa dreißig Sekunden im Krankenbett zu sehen gewesen, wie er interviewt wurde und in die Kamera winkte.
    Doch trotz all der Besucher - eine Person war nicht gekommen. Er hatte es sich gerade noch verkneifen können, Staatsanwalt Kohler nach ihr zu fragen. Außerdem hatte er sich vorgenommen, sie anzurufen, sobald er das Krankenhaus verlassen und statt des lächerlichen Anstaltskittels endlich wieder seine eigene Kleidung tragen konnte. Hoffentlich hatte Sonja Willhalm seinen peinlichen Fernsehauftritt nicht gesehen.
    Pulaski trat ins Freie, den Arm in der Schlinge und den Mantel über der lädierten Schulter. Die Sonne schien. Ein warmer Herbsttag. Vor dem Haupteingang der Klinik wartete seine Tochter auf ihn. Sie trug Fetzenjeans mit Rissen über den Knien, die angeblich total in waren, Turnschuhe und eine blaue Windjacke und hielt ihr Skateboard mit den abgewetzten Rollen unter dem Arm. Sie hatte die gleichen Sommersprossen und dieselben spitzen Knie wie ihre Mutter, dachte er.
    »Schulfrei?« Er blickte auf die Armbanduhr. Zehn Uhr vormittags.
    Jasmin

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