Rachesommer
strahlte übers ganze Gesicht. »Ich habe frei bekommen - Pflegeurlaub! Meine Klassenkameraden haben dich im Fernsehen gesehen.«
»Du auch?«
Sie grinste schief. »Ich hab’s auf Video aufgenommen. Du warst nur kurz im Bild und sähst schrecklich aus - tust du übrigens immer noch! Wann rasierst du dich?«
Er strich sich über den Dreitagebart. »Heute Abend.« Dann langte er in die Manteltasche und kramte die Zigarettenpackung hervor. Seit seinem Besuch in Ochsenzoll hatte er die Glimmstängel nicht mehr angerührt. »Damit höre ich endgültig auf.« Er zerdrückte die Schachtel und warf sie in den Mülleimer neben der elektrischen Schiebetür. Ebenso das Feuerzeug.
»Mama wäre stolz auf dich.«
»Und du?«
»Natürlich auch.« Sie drückte ihn.
»Vorsicht.« Er musste lachen, weil sie sich wie ein Kleinkind an ihn quetschte. Sicherheitshalber schob er den angeschlagenen Arm zur Seite.
Während sie zur Busstation gingen, nahm er das Handy aus der Tasche.
»Hör mal kurz weg - ich muss ein Gespräch unter Erwachsenen rühren.«
»Klar doch.« Sie schlüpfte unter seinen Mantel und sah gelangweilt den vorbeifahrenden Autos nach.
Zumindest tat sie so. In Wahrheit spitzte sie garantiert die Ohren, damit ihr kein Wort entging.
Pulaski wählte Sonja Willhalms Nummer. Nach dem fünften Klingeln hob sie ab. »Störe ich Sie bei einer Therapie?«
»Ich mache gerade Pause«, antwortete sie. Es folgte eine peinliche Schweigesekunde, ehe sie weitersprach. »Sind Sie noch im Krankenhaus?«
»Wurde soeben entlassen.«
»Ich hätte Sie gern besucht, aber wir hatten rund um die Uhr Leute von den verschiedensten Behörden hier, die alles auf den Kopf stellten. Meine Patienten reagierten dementsprechend.«
»Die Todesfälle von Natascha und Martin haben bestimmt eine Menge Staub aufgewirbelt.«
»Dank Ihnen.« Er hörte sie lachen. »Sie sind ein Held, ich habe Sie gestern Abend in den Nachrichten gesehen.«
»Meine Tochter sagt, ich habe schrecklich ausgesehen.«
»Na ja …« Sie lachte erneut. »In echt sehen Sie besser aus.«
Das war das Stichwort. Plötzlich schlug sein Herz schneller. »Ich bin Ihnen noch ein Abendessen schuldig.«
»Sie haben Ihr Versprechen nicht vergessen?«
»Wie könnte ich das?«
Er spürte, wie sich Jasmin aus der Umarmung löste. Sie sah ihn mit zwei zu großen Fragezeichen geformten Augen an.
Und? Wer ist sie?, las er auf ihren Lippen. »Diesen Freitagabend? Ich hole Sie um acht Uhr ab.« Gib mir bloß keinen Korb, dachte er. Gib mir bloß … »Das würde mich sehr freuen.«
Für einen Moment war er sprachlos. Immerhin war es sein erstes ernstzunehmendes Date seit Jahren.
Jasmin boxte ihn in die Seite. Wer ist das?
»Fahr mit dem Skateboard zur Bushaltestelle!«, flüsterte er, wusste aber im gleichen Moment, dass Jasmin keine Sekunde von seiner Seite weichen würde, solange er telefonierte.
»Mit wem sprechen Sie?«
»Mit meiner Tochter. Sie ist ein Quälgeist.«
»Ich würde sie gern kennenlernen.«
»Was?« Pulaskis Herz machte einen Satz. Diese Aufregung hatte er während der letzten Jahre kein einziges Mal verspürt - nicht einmal im Dienst.
»Ich … wir könnten …«, murmelte er. »Vielleicht sollten wir…«
Da nahm ihm Jasmin das Telefon aus der Hand, sprang aufs Skateboard und rollte den Bürgersteig entlang.
»Hallo? Hier spricht Jasmin«, sagte sie.
»Bist du verrückt? Gib mir das Telefon!«, zischte er.
Doch Jasmin war schon zu weit entfernt, als dass er sie einfangen konnte.
»Falls Sie Lust haben, könnten Sie uns am Wochenende begleiten«, schlug Jasmin vor. »Wenn uns das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht, gehen Papa und ich mit dem Hund unseres Nachbarn in den Johannapark. Spielen Sie Frisbee? Tatsächlich? Der Hund ist komplett verrückt danach. Das sollten Sie sich nicht entgehen lassen. Haben Sie Papa übrigens in den Nachrichten gesehen? Genau. Er sah schrecklich aus, oder?« Sie kicherte.
Nach einer Weile kam Jasmin auf dem Skateboard zurück und hielt ihm das Handy frech vor die Nase. »So macht man das.«
Kommentarlos nahm er das Telefon und warf einen Blick auf das Display. Die Verbindung war unterbrochen.
»Wenn du das noch einmal machst…«
»Sie ist nett«, fiel ihm Jasmin ins Wort. »Ich freue mich schon darauf, sie am Wochenende kennenzulernen.«
»Ich sollte dich besser zu Hause lassen.«
»Kommt gar nicht in Frage. Nicht mal, wenn du mich mit Handschellen an ein Heizungsrohr kettest«, sagte sie in
Weitere Kostenlose Bücher