Rachesommer
Tagen habe ich dieses seltsame Dejá-vu, als würde ich diese Frau kennen. Und das Merkwürdige: Vor seinem Tod betonte Holobeck noch ausdrücklich, dass die Fälle nichts miteinander zu tun hätten … und kurz darauf ist er selber tot.«
»Selber tot… «, wiederholte Patrick nachdenklich. »Das klingt seltsam aus deinem Mund.«
»Patrick, hör zu.« Sie rutschte näher. »Stadtrat Prange stirbt in den Berchtesgadener Alpen, der Kinderarzt Kieslinger ertrinkt im knietiefen Abwasser - und falls ich Recht habe, taucht an beiden Unfallorten dasselbe Mädchen auf. Holobeck vertrat einen der Fälle vor Gericht und stirbt…«
Patrick wurde bleich. »Lynnie, mach dich nicht verrückt!«
Sie beugte sich vor. »Weder in deinem noch in meinem Job gibt es Zufälle. Nichts passiert ohne Grund.« Sie sah ihn lange an. »Kannst du die Hintergründe von Holobecks Tod herausfinden?«
»Wie schnell brauchst du das? Ich …«
»Rasch.«
Patrick verzog das Gesicht zu einer unglücklichen Miene. »Ausgerechnet jetzt? Ich habe im Moment zwei Beschattungsaufträge laufen.«
»Bitte.«
»Wie kann ich diesen rehbraunen Augen nur widerstehen?« Er überlegte. »Alt-Erlaa … Für den dreiundzwanzigsten Bezirk ist das KK-Süd zuständig, die Gruppe Bernecker. Ein zäher Hund, aber ich kenne ihn. Womöglich weiß ich in ein paar Stunden mehr. Falls …« Er lehnte sich zurück, fuhr sich mit den Fingern durch das gewellte, an den Schläfen bereits ergraute Haar und bekam diesen Blick, mit dem er sie immer aufzog. Als wäre das nicht genug, stellte er den Hemdkragen auf. Damit wirkte er mehr als lächerlich, aber trotzdem sah er immer noch verdammt gut aus - wie sein Vater. Dennoch waren die beiden wie Hund und Katz.
»Falls was?«
»Falls ich dich endlich zu einem Candle-Light-Dinner überreden kann.«
»Ich dachte, du arbeitest an zwei Beschattungsaufträgen?«
»Doch nicht nachts …« Er zwinkerte frech. Sie stöhnte auf. »Patrick, bitte. Wie kannst du ausgerechnet jetzt an so etwas denken?«
»Ich muss jedes Mal daran denken, wenn ich dich sehe.« Oh Gott. Wie sein Vater.
»Nein! Vergiss es! Besorg mir lieber den Polizeibericht.«
»Wie du willst.« Patrick klappte den Hemdkragen wieder um. »Und du beschaffst in der Zwischenzeit die Akte dieses Airbag-Falls. Vielleicht ist alles nur falscher Alarm, und die Frau aus dem Cafe ist eine fette Fünfzigjährige mit Gesichtslähmung.«
»Das wird nicht leicht. Krager hält sie in seinem Büro unter Verschluss.«
Patrick grinste. »Dann musst du meinen Vater eben becircen.«
16
Nach dem Treffen mit Patrick fuhr Evelyn nach Hause und fütterte ihre Katzen, bevor sie sich auf den Weg in die Kanzlei machte. Ihr Magen knurrte, doch der Appetit war ihr vor Stunden gründlich vergangen. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass Holobeck tot war.
Die Hiobsbotschaft hatte sich wie ein Lauffeuer in der Kanzlei herumgesprochen. Die meisten waren schon gegangen, mit hängendem Kopf und früher als sonst. Evelyn saß mit ihrer Kaffeetasse in der Küche. Tweety und Sylvester grinsten sie an. Mach sie platt, sonst machen sie dich platt!, dachte sie. Doch das kam für Holobeck zu spät.
Mittlerweile war der Kaffee kalt. Sie wartete auf Kragers Rückkehr von der Bundespolizeidirektion. Sollte er je erfahren, dass sie sich mit seinem Sohn getroffen und ihm Details über Firmenfälle erzählt hatte, würde er ihr gründlich den Kopf waschen. Wenn er sie nicht sogar rausschmeißen würde.
Krager und sein Sohn Patrick liebten sich wie zwei zähnefletschende Rottweiler bei einem Hundekampf. Früher war es anders gewesen, doch seit Patrick die Kanzlei verlassen hatte, um Privatdetektiv zu werden, gingen sie sich aus dem Weg, als hätten beide das Ebola-Virus in sich getragen. Jeder behauptete über den anderen, ein verlogener Dreckskerl zu sein. Möglicherweise irrten sich beide - aber vielleicht auch nicht.
Evelyn hörte das metallene Rattern des Fahrstuhls im Treppenhaus. Sekunden später klimperte ein Schlüssel in der Eingangstür. Es war Krager. Sein Krawattenknoten saß locker, und er war mit den Nerven völlig runter. Draußen dunkelte es bereits, und mittierweile waren er und Evelyn die Einzigen in der Kanzlei.
Er kam an der Teeküche vorbei. »Was treiben Sie noch hier?«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er zu seinem Büro weiter. »Gestern die Feier - fünfundzwanzig Jahre Krager, Holobeck & Partner - und heute das! Gehen Sie nach Hause, und ruhen Sie sich aus«, rief
Weitere Kostenlose Bücher