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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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auf dem Holzweg gewesen. Natascha hatte den Abschiedsbrief nicht geschrieben, bevor sie ihrem Mörder in die Hände gelaufen war. Ihr Mörder hatte sie mit Botox gelähmt, anschließend betrunken gemachtund danach gezwungen, diesen Brief zu schreiben. Er wollte die Ermittler auf eine falsche Fährte führen und ihnen einen Grund für den Selbstmord liefern, der innerhalb der Anstalt zu finden war. Das bestätigte Pulaski einmal mehr, dass der Mörder von außen gekommen sein musste und nichts mit dem Personal der Psychiatrie zu tun hatte.
    »Gute Arbeit, Biber. Ich brauche schnellstens einen Bericht darüber.« Pulaski verließ das Büro. Endlich kam etwas Schwung in den Fall. Trotzdem musste er dringend an eine Tasse heißen Kaffee, ein Käsesandwich und eine Zigarette rankommen. Sein Magen knurrte wie eine ganze Diensthundestaffel.
    Auf dem Weg in die Küche hörte er, wie jemand seinen Namen durch den Gang rief.
    Malte vom Erkennungsdienst rollte mit dem Stuhl von seinem Büro in den Korridor und winkte Pulaski herbei. »Komm, ich zeig dir was.«
    »Dringend?«
    »Du wirst staunen.«
    Kaffee und Zigarette konnte er sich vorerst abschminken.
     
    Auf Maltes Schreibtisch stapelten sich die Videokassetten aus den Überwachungskameras der Anstalt, welche die Beamten vor einer Stunde beschlagnahmt hatten.
    Malte wedelte mit einem Ausdruck in der Hand. »Du hattest Recht. Die Rückseite der Anstalt. 03.22 Uhr. Dieser Kerl hat nicht den üblichen Weg genommen.«
    Malte reichte ihm das Papier.
    »Nicht schlecht«, entfuhr es Pulaski.
    »Aufgehellt und mit verschiedenen Rastern bearbeitet. Mehr ist leider nicht drin.«
    Pulaski betrachtete die Konturen des Profils, die der Computer zusammengesetzt hatte. Es würde reichen, um eine Fahndung rauszugeben. Der grauhaarige Mann war - etwa sechzig Jahre alt und hatte schmale, fast eingefallene Gesichtszüge.
    »Pulaski!«, brüllte jemand durch den Gang. »Das Telefon in deinem Büro treibt mich zum Wahnsinn. Wenn du nicht rangehst, zieh ich den Stecker aus der Dose!«
     
    Pulaski ließ sich in seinen Stuhl fallen. Gleichzeitig fischte er den Hörer von der Gabel. Ein externer Anrufer, dessen Nummer er nicht kannte.
    »Ja?«, knurrte er und goss den kalten Kaffee in den Übertopf seiner Yuccapalme. »Guten Morgen, Herr Kommissar.«
    Er entspannte sich, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Sonja Willhalm.
    »Guten Morgen. Ich wollte Sie anrufen, aber im Moment überschlagen sich die Ereignisse.«
    »Haben Sie gestern Abend meine Nachricht erhalten?«
    Er dachte an die Kopie von Martin Horners Stammdatenblatt an seiner Windschutzscheibe. »Ja, vielen Dank. Deshalb ist hier die Hölle los. Der Staatsanwalt hat das Beweisverfahren wieder aufgenommen.«
    »Ich weiß, er hat mich heute Morgen angerufen und wollte wissen, wie Sie an Martins Akte rangekommen sind.«
    Staatsanwalt Kohler hätte ihn selbst fragen können, statt seine Exfrau damit zu belästigen.
    »Und?«
    »Ich habe ihm die Wahrheit erzählt«, antwortete die Therapeutin. »Die Akte steckte irrtümlich in dem Stapel mit den Patientendossiers, die Ihnen Hanna in das Besprechungszimmer gebracht hat. Vermutlich hat sie vergessen, das Stammdatenblatt des Toten auszusortieren.«
    Pulaski sah sie am anderen Ende der Leitung förmlich schmunzeln. »Ganz schön raffiniert.«
    »Danke.« Die Therapeutin lachte. »Im Moment läuft es ziemlich gut, oder? Nach Martins Autopsie weiß man vermutlich mehr, immerhin war die Beerdigung erst gestern und …«
    Autopsie? Pulaski hörte nicht länger zu. Willhalms Stimme klang, als würde sie irgendwo im Äther verschwinden. Er starrte auf den Aktenberg, der sich auf seinem Schreibtisch stapelte. Ganz oben lag der Antrag auf Exhumierung von Martin Horners Leiche, den er noch nicht ausgefüllt hatte. Er wollte das Formular im Lauf des Vormittags an die Staatsanwaltschaft Leipzig faxen, nachdem er den ersten vorläufigen Bericht für Kohler zusammengestellt hatte.
    »Welche Autopsie?«, unterbrach er die Therapeutin.
    »Wie bitte?« Sie machte eine Pause. »Sie haben doch beantragt, dass Martins Leiche exhumiert wird … oder etwa nicht?«
    Pulaski starrte auf das zur Hälfte ausgefüllte Formular. Befand er sich im falschen Film?
    »Findet die Exhumierung etwa schon statt?«, fragte er.
    »Auf dem Waldfriedhof in der Nähe der Anstalt.«
    Irgendetwas lief hier nicht rund …
    »Ich hatte noch kein Frühstück und brauche dringend einen starken Kaffee.« Pulaski räusperte sich.

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