Rachesommer
Pulaskis Kollegen hatten schon einige Male mit ihm zu tun gehabt.
Winteregger betrachtete Pulaskis Ausweis und wiegte den Kopf. »Kommissar Pulaski.«
So wie er es aussprach, klang es wie eine peinliche Krankheit. Dass Pulaski Kriminaloberkommissar war, überlas Winteregger geflissentlich. Schnösel wie er glaubten, sie wären etwas Besseres, weil sie studiert hatten und in einem Büro in Dresden hockten. In deren Augen waren die Beamten vom Dauerdienst sowieso das Letzte - nichts weiter als gefällige Handlanger, die den Tatort sicherten, Zeugen verhörten, Fingerabdrücke nahmen und die Fakten so aufbereiteten, dass sich die Leute vom Landeskriminalamt nicht die Finger schmutzig machen mussten.
Aber so war Pulaskis Job beim Dauerdienst nun einmal: gestern ein Einbruch in der Wohnsiedlung Lindenau, heute Vandalismus am Bahnhof Meusdorf, morgen ein Drogentoter im Bürgerpark Paunsdorf oder eine Wasserleiche im Elsterbecken. Meist bekam er gar nicht mit, wie die Fälle weiterbehandelt wurden, da er schon den nächsten Tatort sicherte.
Es war nicht immer so gewesen. Vor fünf Jahren hatte er sich zum Leipziger Dauerdienst versetzen lassen. Er kannte seine ehemaligen Kollegen noch, die alten Hasen beim LKA, doch davon hatte der junge Schnösel natürlich keine Ahnung.
»Ich habe bereits mit Ihrer Dienststelle telefoniert«, sagte Winteregger, während er immer wieder zum Grabaushub schielte und die Brille über die Nase schob, sodass die Rolex an seinem Handgelenk herumrutschte. Was für ein nervöser Kerl! Bestimmt war das seine erste Exhumierung. Der Bursche trug sogar silberne Manschettenknöpfe. Pulaski konnte gar nicht hinsehen. »Hören Sie mir überhaupt zu?«
»Natürlich.« Pulaski schüttelte eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Karin hatte Recht behalten: Seine Vorurteile wurden mit zunehmendem Alter schlimmer. Wenn das so weiterging, sperrte er sich am besten zu Hause ein und vermied jeglichen Kontakt zu Fremden.
»Ich sagte, Staatsanwalt Kohler hat die Ermittlungen an das LKA Sachsen übertragen. Wir übernehmen jetzt die Koordination in diesem Fall, und die Mordkommission Leipzig arbeitet uns zu.«
Zuarbeiten! Wenn er das schon hörte. Das würde Fux, Biber, Malte und den anderen nicht schmecken.
»Dafür ist es noch zu früh, wir stecken mitten in den Auswertungen.« Hatte es überhaupt einen Sinn, derartige Fragen mit diesem Schnösel zu diskutieren?
Winteregger lächelte. »Ich weiß, wie Sie arbeiten, Kollege.« Er warf der Therapeutin, die schweigend neben ihnen stand, einen bedauernswerten Blick zu. »Ab jetzt muss niemand mehr zu etwas genötigt werden. Die Sache wird korrekt über die Bühne gehen.«
Pulaski spürte, wie seine Halsschlagadern auf Pipelinegröße anschwollen. Von daher wehte also der Wind! Korrekt über die Bühne gehen. Kohler war es nicht recht gewesen, dass er auf eigene Faust recherchiert und brisantes Material ans Tageslicht gebracht hatte, als der Fall eigentlich schon abgeschlossen war. Aber falls er Recht behielt, hatte er einen heimtückischen Mord - womöglich sogar zwei - aufgedeckt. War es da nicht gleichgültig, mit welchen Methoden gearbeitet wurde?
Doch wozu machte er sich Sorgen? Ab jetzt übernahmen ja die Sesselpupser vom LKA die Ermittlungen.
»Mit welchem Kollegen arbeiten Sie an dem Fall?«, fragte Pulaski.
Winteregger blickte zum Grab. Die beiden Arbeiter hoben soeben den Sarg aus dem Erdloch. »Kennen Sie nicht.«
Junge, du würdest dich wundern, wen ich alles kenne, dachte Pulaski.
»Ein erfahrener Kollege.« Winteregger blickte Pulaski wieder an. »Lars Goteinik - wie gesagt, Sie kennen ihn nicht.«
Goteinik! Und ob er Goteinik kannte. Pulaski sah auf die Armbanduhr. Elf Uhr vormittags. In spätestens drei Stunden war Goteinik so voll wie ein Spirituosenladen. Der einzige Grund, weshalb Goteinik im Rausch keinen Autounfall verursachte, war, dass sein Wagen beim Schrotthändler stand und er keinen Führerschein mehr besaß. Dabei hatte er mal den Ruf eines guten Ermittlers gehabt. Sie waren früher sogar Kumpels gewesen und hatten gemeinsam an Mordfällen ermittelt. Vor fünf Jahren, als Karin an den Folgen der Chemotherapie gestorben war, hatte Goteiniks Frau einen tödlichen Unfall gehabt. Die Wahrscheinlichkeit, dass man eine Woche vor Weihnachten auf einer Eisplatte vor dem eigenen Haus ausrutschte, mit dem Hinterkopf gegen die Bordsteinkante schlug, ins Koma fiel und am Heiligen Abend an einer Gehirnblutung starb, war
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