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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Dingen zu lassen. Doch andererseits wusste sie, dass Greta etwas verheimlichte. Womöglich kannte sie sogar das Mädchen im Spaghettiträgerkleid.
    Evelyn trat der Schweiß auf die Stirn, als sie zur Kommode ging und die Schublade aufzog. Mitten im Wintergarten stand sie wie auf dem Präsentierteller. Man hätte sie leicht vom Garten aus beobachten können. Eilig durchwühlte sie die Dokumente, fand jedoch nichts Wichtiges. Nur Verträge, Wertpapiere, Kontoauszüge, eine Vermögensaufstellung, Sterbeurkunde, Briefe einer Rechtsanwaltskanzlei, einen Totenzettel sowie Anweisungen für Begräbnis und Totenmesse. Evelyn bekam ein flaues Gefühl im Magen, als sie die Intimsphäre dieser Frau durchstöberte. Andererseits hatte Greta gelogen.
    Plötzlich hörte sie aus dem Garten das Schlagen der Kellertür. Unwillkürlich ging sie in die Hocke. Was tat sie da? War sie verrückt? Jetzt war der Moment gekommen, um durch den Wintergarten auf die Terrasse zu treten und lächelnd zu erwähnen, dass sie das Foto hier vergessen habe. Stattdessen hockte sie neben der Kommode, hielt den Atem an und spähte zwischen den Korbstühlen hindurch. Vorsichtig griff sie nach oben und schob die Lade zu.
    Stimmen drangen über die Terrasse ins Haus. Evelyn dachte an Patricks Worte. Eine Buchungsbestätigung der Reise! Falls ein derartiges Dokument existierte, dann wahrscheinlich nur in Edward Hockinsons Arbeitszimmer. Sie blickte durch das Wohnzimmer in den dunklen Korridor. Laut eigenen Angaben hatte Greta das Arbeitszimmer ihres Vaters nie betreten. Möglicherweise war auch das eine Lüge gewesen. Vielleicht würde sie bei der nächsten Gelegenheit sämtliche Unterlagen in diesem Büro vernichten, die mit der damaligen Schiffsfahrt zu tun hatten. Falls Greta jedoch die Wahrheit sagte, wäre das Arbeitszimmer der letzte Raum, den sie betreten würde.
    Schritte kamen über die Steintreppe zur Terrasse. Geduckt bewegte sich Evelyn langsam ins Wohnzimmer. Als sie in den Schatten eines gewaltigen Wandverbaus eingetaucht war, richtete sie sich auf und verschwand rücklings in den Korridor.
    »Holen Sie mich erst wieder, wenn die Bewegungsmelder richtig eingestellt sind!«, rief Greta in den Garten. Sie ging über die Terrasse, öffnete die Tür und betrat den Wintergarten. Die Glastür krachte zu. »Idioten!«
    Als Greta sich in den knarrenden Korbstuhl fallen ließ, verschwand Evelyn im Gang. Die erste Tür stand offen und führte in die Küche, die zweite war mit einem Toilettensymbol gekennzeichnet. Evelyn öffnete die nächste Tür so leise wie möglich, doch dahinter befand sich nur das Bad. Hinter der letzten Tür am Ende des Korridors lag ein geräumiges Arbeitszimmer. Die Lamellen der beiden Jalousien waren halb zugeklappt. Lichtfächer fielen in den Raum und rissen Dutzende Buchregale und Stellagen aus der Dunkelheit. Evelyn schloss die Tür langsam hinter sich, lehnte sich mit dem Rücken ans Holz und stieß den angehaltenen Atem aus. In dem Zimmer roch es wie in einer Bibliothek nach altem Papier - und nach Tabak.
    Ihre Knie zitterten. Wie sollte sie je wieder unbemerkt aus dem Haus gelangen?
     
    38
     
    Der weiche Teppich schluckte Evelyns Schritte. Behutsam setzte sie sich in den knarrenden Lederstuhl mit den breiten Armlehnen. Es war alles so schnell gekommen. Gestern Nachmittag hatte sie noch nicht einmal gewusst, wer Edward Hockinson war - und nun saß sie an seinem Schreibtisch.
    Sie hielt den Atem an und lauschte. Kein Geräusch im Haus. Vorsichtig versuchte sie, die Schubladen zu öffnen. Versperrt. In dem Durcheinander aus Papieren, Bleistiften, Füllfedern und Tabakdosen fand sie keinen Schlüssel - und ihr fehlte der Mut, die Laden gewaltsam aufzubrechen. Schlimm genug, wenn man sie hier überraschte. Diesmal hatte sie nicht einmal eine Ausrede parat, denn der Trick mit dem Foto würde hier nicht ziehen.
    Sie sah sich im Zimmer um. Offensichtlich war Hockinson nicht nur ein begeisterter Segler, sondern auch ein Sportschütze gewesen. An den Wänden hingen Köcher, Pfeile und einige Bögen. Manche sahen aus wie japanische Langbögen, die Evelyn aus Bildbänden kannte, andere wie Waffen afrikanischer Ureinwohner. Dazwischen hingen Sportbögen mit Rollen und straff gespannter Sehne. In einer Vitrine stand sogar eine moderne Jagdarmbrust aus Fiberglas mit einem Satz gefährlich aussehender Bolzen.
    Auf dem Regal darüber präsentierten sich die in Leder gebundene Brockhaus-Enzyklopädie sowie Werkausgaben von Goethe,

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