Rachesommer
der Obduktion des Jungen liegt vor. Martin Horner ist tatsächlich an Herzversagen gestorben, allerdings wegen einer Überdosis seines Medikaments.«
»Details?«, fragte Pulaski.
Er hörte, wie Fux in einigen Papieren kramte.
»Die Digitalistabletten sollten seinen Herzschlag kräftigen, doch die Überdosis führte zu einem Vorhofflattern des Herzens, schweren Rhythmusstörungen, einem AV-Block und schließlich zum Stillstand …«, las Fux aus dem Bericht vor, dann machte er eine Pause. »Kein schöner Tod.«
»Haben die Jungs vom LKA nun endlich kapiert, dass es sich um einen Doppelmord handelt?«
»Zumindest können sie das jetzt nicht mehr ausschließen. Sowohl in Nataschas als auch in Martins Blut befanden sich Spuren von Botox. Die Beamten haben das Markkleeberger Klinikpersonal in die Mangel genommen, aber das hat nichts gebracht.«
»Das hätte ich dir gleich sagen können. Die Ärzte und Pfleger dachten, Martin hätte sich das Leben genommen, und wollten den Selbstmord vertuschen, damit der gute Ruf der Anstalt nicht leidet.«
»So sieht es wohl aus. Dem Ärztlichen Direktor geht es jetzt an den Kragen.«
Die Tür zum Speisesaal schwang auf. Der Rotschopf und die Halbglatze kamen herein und sahen sich um. Offenbar traten die beiden nur als Duo auf.
»Ich muss Schluss machen«, unterbrach Pulaski seinen Chef. »Die Hochbegabten aus Niedersachsen rücken mir auf die Pelle.«
»Die haben mich heute schon angerufen.«
»Das überrascht mich nicht.«
Fux räusperte sich. »Eck nicht an …«
Mehr hörte Pulaski nicht. Er hatte die Verbindung bereits unterbrochen.
»Haben Sie ein Ersatzmagazin dabei?«, fragte der Rotschopf.
»Nein«, log Pulaski, da er bereits ahnte, worauf es hinauslief.
»Hier ist Ihre Waffe.« Der Rotschopf reichte ihm die Walther.
Pulaski nahm die Pistole und merkte am Gewicht, dass etwas nicht stimmte. Er ließ das Magazin rausgleiten und warf einen Blick hinein. »Die Patronen?«
»Bleiben bei uns.«
»Was soll der Mist?« Sie konnten sich nicht einfach seine Dienstpatronen unter den Nagel reißen.
»Wir haben mit Ihrem Vorgesetzten telefoniert.« Der Rotschopf ließ die Worte eine Weile wirken, ehe er weitersprach. »Für jemanden vom Leipziger Dauerdienst, der sich für einen Tag beurlauben lässt, um dann mit der Dienstwaffe auszurücken, sind Sie ziemlich großkotzig. Sie hätten Ihre Behörde in Kenntnis setzen und sich in ein anderes Bundesland zuteilen lassen müssen.«
Klugscheißer! Pulaski wartete ab, was noch kommen würde.
Jedenfalls wusste er, dass sie ihm weder Pistole noch Patronen zur Beweissicherung wegnehmen konnten. Urlaub hin oder her - immerhin hatte er einen Mordversuch vereitelt und auf einen Verdächtigen geschossen. Trotzdem würde die Sache noch ein gewaltiges Nachspiel haben, aber das sollten die Dienststellen untereinander ausmachen. Pulaski war das mittlerweile gleichgültig. Sein einziges Interesse galt Lesja. Während seine so genannten Kollegen bis in die höchsten Hierarchien bürokratischen Mist von einer Ecke in die andere schaufelten, hoffte er, dass das Mädchen überlebte.
»Ihr Vorgesetzter meinte, wir sollen Ihnen die Patronen abnehmen und Sie heimschicken.«
»Solange Sie nicht nachmagazinieren können, stellen Sie keine Gefahr dar«, fügte der Glatzkopf hinzu.
Pulaski wusste, dass es sich dabei um eine reine Schikane handelte. Er ließ das leere Magazin einschnappen und steckte die Waffe ins Holsten »Haben Sie alle fünf Projektile gefunden?«
»Würde ich Ihnen sonst die Waffe zurückgeben?« Mehr rückte der Rotschopf nicht heraus.
Keine Infos für einen alten Mann! Was waren die beiden doch für Dilettanten! Zumindest wusste Pulaski jetzt, dass er dem Grauhaarigen nur einen Streifschuss zugefügt hatte. Er würde bloß humpeln und musste nicht einmal einen Arzt aufsuchen.
»Hier.« Der Glatzkopf mit den eingefrorenen Gesichtszügen hielt ihm ein dreiseitiges Protokoll unter die Nase, das er vermutlich innerhalb der letzten Stunde im Zweifingersystem auf einer tragbaren Schreibmaschine getippt hatte. Anscheinend besaßen die Beamten in Niedersachsen keine Laptops.
»Lesen Sie, und unterschreiben Sie. Der Chefarzt möchte Sie noch in seinem Büro sehen. Danach tun Sie uns und Ihnen einen großen Gefallen, und verschwinden Sie aus der Stadt.«
Kein Problem. Wie gesagt, Pulaski hatte ohnehin nicht vor, einen der beiden zu heiraten. Er betrachtete das Protokoll. Name, Dienstnummer, Ort, Datum, Uhrzeiten, Seriennummer
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