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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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fegte.
    Niebüll war die letzte große Ortschaft, in die sie kam. Sie fuhr langsam über die Bundesstraße, bis sie den Bahnhof sah. Die Verladestation befand sich gleich dahinter. Der nächste Autozug nach Sylt fuhr in zwanzig Minuten ab. Sie kaufte ein Ticket und lenkte den Mietwagen über die Rampe auf den Zug. Es war ein merkwürdiges Gefühl, im Auto zu sitzen, in der oberen Etage des Doppelstockwagens, nur mit dem eingelegten ersten Gang, ohne dass der Wagen verkeilt wurde.
    Als der Zug losfuhr, ruckelte es zwar ein wenig, aber Evelyn gewöhnte sich rasch daran. Im Prinzip war es sogar aufregend, nachts in dieser erhabenen Position durch das Land und die Unwetter zu preschen. Ein wenig unheimlich wurde es nur, als der Zug das Festland verließ und über den schmalen Hindenburgdamm donnerte, der gerade mal so breit war wie zwei Gleisstrecken. Von hier aus konnte sie zu beiden Seiten weit auf das offene Meer hinaussehen und an der Küste das Aufblitzen einiger Leuchttürme durch die Regenschauer erkennen. Während der Fahrt fiel die Temperaturanzeige im Wagen rasch ab. Immerhin befand sie sich an der Grenze zu Dänemark. Sie ließ die Hände in den Pulloverärmeln verschwinden, kuschelte sich in den Sitz und starrte in die Dunkelheit.
     
    Die Bahnfahrt dauerte etwas mehr als eine halbe Stunde, dann erreichte der Zug die AutoVerladestation in Westerland. Von dort aus lotste sie das Navi ihres Wagens nach Norden. Die Autoscheinwerfer rissen Teile der Landschaft aus der Dunkelheit. Rechts breitete sich die öde Heidelandschaff aus, links lagen unendlich lange Dünen und das Meer. Zahlreiche Holzstege führten in die Nordsee hinein. Der Wind ließ die Wellen in hohem Bogen über die Molen preschen.
    Patrick hatte wie immer Recht behalten. Knapp vor zehn Uhr nachts kam sie in Wenningstedt an. Sie rollte im Schritttempo durch das winzige Nest, fuhr an einer Kapelle, mehreren Bauernhöfen, Ferien- und Apartmenthäusern vorbei. Endlich erreichte sie den Campingplatz. Am Ende des Geländes, nur wenige Meter vom Strand entfernt, ragte eine windschiefe Hütte aus den Dünen. Das musste sie sein.
    Sie parkte am Straßenrand, ließ das Standlicht brennen, griff nach Handy und Geldbeutel und lief im Regen über den Sandstrand. Salzige Böen schlugen ihr entgegen. Es roch nach Fisch.
    Sie stapfte einmal um den Bungalow. Der Wohnwagen war fast nicht zu erkennen. Die Räder fehlten, und die Achsen standen auf im Sand eingegrabenen Holzbohlen. Smolle hatte rund um den ausrangierten Trailer eine Bretterkonstruktion mit einem Schindeldach montiert, was wohl einen Zubau darstellen sollte. Aus dem Dach ragte ein Ofenrohr, aus dem helle Rauchwolken stiegen, die der Wind sogleich in alle Richtungen zerstob.
    Hinter den Fenstern des Wohnwagens flackerte Kerzenlicht. Mehr war durch die Vorhänge nicht zu erkennen. Offensichtlich lebte Paul Smolle ohne Strom und verbrachte den Herbst und den nahenden Winter mit Gaskocher und Holzofen.
    Völlig durchnässt erreichte Evelyn die Eingangstür. Der Bretterverschlag wurde vom Wind aufgerissen und immer wieder zugeknallt. Sie schlüpfte in den Vorraum und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Sie stand auf einer nassen Plastikfolie. Es tropfte durch die Holzbretter an der Decke. In der Ecke standen ein Propangasbehälter, daneben mehrere Kisten mit leeren Wein- und Schnapsflaschen, Holzscheite und jede Menge Erbsen- und Fleischdosen. Auf einer Mobiltoilette stapelten sich in einen Nylonsack eingewickelte Klopapierrollen.
    Beim besten Willen hätte sie nicht gedacht, dass ihre Reise sie an diesen entlegenen Ort fuhren würde. Hier war sie tatsächlich im letzten Winkel der Zivilisation angelangt. Schlimmer konnte es nicht kommen. Ihr moderner Sixt-Leihwagen am Straßenrand wirkte in dieser Gegend völlig deplatziert, als hätte sie sich in eine andere Dimension verirrt.
    Sie klopfte an die verbeulte Blechtür des Wohnwagens. Das offene Vorhängeschloss schepperte gegen den Riegel. Sonst rührte sich nichts.
    »Herr Smolle?« Sie pochte noch einmal gegen die Tür.
    Donnergrollen unterbrach sie.
    Die Worte, die sie zu sagen sich vorgenommen hatte - Ich bin Anwältin und komme aus Wien -, erschienen ihr so unwirklich, dass sie sie nicht herausbrachte. »Herr Smolle?«
    Vorsichtig öffnete sie die Tür und machte einen Schritt auf die Treppe. Sie lugte um die Ecke in den Trailer. Ein heißer Luftzug wärmte ihr Gesicht. Es roch nach Öl und Tannenzapfen. Holzstücke knackten im Ofen.
    In der Mitte

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