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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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der Fähre gerollt war, hielt sie auf einem Parkplatz neben der Bundesstraße. Das Navigationssystem zeigte ihr den Weg von Glückstadt zum Hamburger Flughafen. Eine knappe Stunde Fahrt. Falls sie heute noch heimfliegen wollte, wäre es jetzt an der Zeit, telefonisch ein Ticket beim airberlin-Schalter zu buchen. Möglicherweise war es aber gar nicht so schlau, von Hamburg abzufliegen. Greta Hockinson kannte ihre Pläne. Vielleicht erwartete sie sie am Flughafen. Ein paranoider Gedanke, aber andererseits konnte sie diese Frau genauso wenig einschätzen wie ihren Kollegen Holobeck. War sie nicht fest davon überzeugt gewesen, ihn und seine kleinen Geheimnisse zu kennen? Wieder einmal war ihr klar geworden, dass man in keinen Menschen hineinschauen konnte und sie umso mehr auf ihr Bauchgefühl hören sollte.
    Unschlüssig starrte sie auf das Handy. Heimfliegen oder hier bleiben? Doch im Grunde genommen hatte sie die Entscheidung längst gefällt.
    Als es läutete, zuckte sie zusammen. Patricks Nummer erschien auf dem Display.
    »Hallo«, meldete sie sich knapp.
    »Du klingst angespannt.«
    Dem Herrn Detektiv entging auch nichts. »Hast du was für mich?«
    »Kapitän Paul Smolle ist Jahrgang 1944. Sein Vater ist im Krieg gefallen, seine Mutter nach seiner Geburt abgehauen. Ein ziemlich übler Bursche, hat das große Seepatent, aber auch mehrere Anzeigen wegen Trunkenheit. Allerdings hat er seit zehn Jahren kein Kommando mehr über ein Schiff geführt. Mehr Details konnte mein Kollege Uwe nicht rausfinden.«
    »Die Adresse?«
    »Du wirst es nicht glauben … Er haust in einem alten Wohnwagen, den er sich zu einem Bungalow umgebaut hat.«
    »Klingt armselig.«
    »Zumindest ist er nicht unser Erpresser.«
    »Wo steht der Wohnwagen?«
    »An der Küste von Wenningstedt auf Sylt.«
    Das klang gar nicht gut. Evelyn tippte die Daten in das Navigationssystem. Es gab nur eine Route nach Sylt, und die dauerte sechs Stunden, die Fahrt mit dem Autotransportzug über den Damm eingeschlossen.
    »Wann fliegst du heim?«, fragte Patrick, nachdem Evelyn eine Zeit lang nichts gesagt hatte.
    »Hast du die genaue Adresse, wo Smolles Wohnwagen steht?«
    »Verdammt, ich hab’s gewusst!«, fluchte Patrick. »Sylt liegt an der dänischen Grenze. Die Reise dorthin ist eine Odyssee.«
    »Sechs Stunden«, antwortete sie.
    »Evelyn, das ist Wahnsinn! Du musst zurückkommen.«
    Warum? Weil er es so wollte?
    »Ich stecke zu tief drin und werde weitermachen«, antwortete sie knapp. »Ich muss diesen Fall lösen.«
    Sie starrte zu dem Verkehrsschild auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein Pfeil zeigte nach Hamburg, der andere nach Norden in Richtung Flensburg. Sie blickte die Straße hinauf. Dunkle Wolken schoben sich von Norden herunter. Falls sie Smolle besuchte, würde sie direkt in das Gewitter hineinfahren.
    »Wenn ich jetzt losfahre, bin ich um neun Uhr abends dort.«
    »Eher zehn Uhr nachts«, korrigierte Patrick sie. »Wo wirst du schlafen?«
    »Auf Sylt gibt es bestimmt ein Motel.«
     
    44
     
    Pulaski stand mit einem heißen Kaffeebecher auf der Wiese vor dem Pavillon.
    Auf dem Gelände der psychiatrischen Anstalt wimmelte es von Polizeibeamten, die alle Hände voll zu tun hatten, um die schaulustigen Patienten fernzuhalten.
    Soviel Pulaski durch die Einsatzcodes aus den Funkgeräten mitbekam, waren tatsächlich Straßensperren errichtet worden. Doch wie es schien, war ihnen der Flüchtige bisher durch die Lappen gegangen. Und das würde sich auch nicht ändern. Mittlerweile war einfach zu viel Zeit vergangen.
    Allerdings musste Horst Fux einen ziemlichen Wirbel bei der Göttinger Kripo veranstaltet haben, denn Pulaski hatte noch nie so viele Beamte an einem Tatort gesehen. Mindestens zwei Ermittler verhörten das Personal, drei weitere die Patienten. Doch niemand schien den Grauhaarigen im Steppmantel zu kennen, geschweige denn hatte jemand gesehen, wie er auf das Gelände der Klinik gekommen war. Während ein Spurenermittlungsteam den Wald, den Weg zur Kapelle und den Ost-Eingang untersuchte, knöpfte sich ein zweites Team Lesjas Schlafraum vor. Der Grauhaarige war offensichtlich durch den Haupteingang des Gebäudes und das Treppenhaus in ihr Zimmer gelangt. Vermutlich hatte er dann Pulaski und Doktor Pinsger die Treppe hochkommen hören und den Raum voreilig durchs Fenster verlassen.
    Als Pulaski seine Zigarette zu Ende geraucht hatte und nach einem Mülleimer für den leeren Kaffeebecher suchte, traten zwei Kerle im Anzug auf ihn

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