Rachespiel
Krankenhaus gebracht wurde.«
Maura hatte zum Friseur gewollt an dem Tag, als sie starb. Sie hatte den Termin nicht eingehalten. Warum hatte sie sich dann überhaupt die Mühe gemacht, ihn zu vereinbaren? Sie war ein bisschen distanziert zu ihm gewesen, das schon, aber unglücklich? Nein. Sie hatte gerade einen Job in einem Supermarkt ergattert, für den sie sich jeden Tag als eine der Elfen des Weihnachtsmanns verkleiden musste.
»Also, ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, dass die beiden ein sehr wohlhabendes Ehepaar waren«, bemerkte der Bankmensch.
Sexton umklammerte Mauras Abschiedsbrief fester. Von all den Gefühlen, die ihn plagten – Schuld, Trauer, Wut –, war das der Vergeudung das schlimmste. Wenn sich jemand selbst tötete, war das schrecklicher, als wenn er ermordet worden wäre. Wurde ein geliebter Mensch ermordet, konnte man wenigstens Wut auf den Täter empfinden. Aber wie sollte er auf Maura wütend sein? Sie war der friedfertigste Mensch gewesen, dem er je begegnet war. Auch die tragischen Geschichten, die man jeden Tag in den Nachrichten zu hören bekam, waren schwer zu ertragen: über Menschen, die dringend auf eine Organtransplantation warteten oder nach einem brutalen Überfall mit dem Tod rangen, während die Familie an ihrem Bett wachte, Menschen, die nach einem tragischen Unfall querschnittsgelähmt waren – allesamt dankbar für jede kleine Verlängerung ihres Lebens.
»Die Hypothek auf das Haus war abbezahlt. Die Modelagentur hat zwar seit Jahren mit Verlust gearbeitet, war de facto insolvent, aber es wurden häufig Bareinzahlungen getätigt. Sie haben derzeit zwei Millionen Euro Barvermögen auf dem Konto.«
»Zwei Millionen Euro? Wie lange hat das Modelgeschäft schon rote Zahlen geschrieben?«
Der Filialleiter tippte etwas ein und sah sich an, was der Computer auswarf. »Schon so lange, wie wir die Kontounterlagen hier aufbewahren, bevor sie ins Archiv wandern – sieben Jahre.«
»Und woher wissen Sie, dass die Einzahlungen nicht mit der Modelagentur in Verbindung standen?«
Der Filialleiter zuckte die Achseln. »Das Geschäft beruhte immer auf Scheckzahlungen.«
»Irgendwelche ungewöhnlichen Bewegungen auf dem Konto?«
»Kommt darauf an, was Sie als ungewöhnlich bezeichnen.« Der Bankberater sah sich die Tabelle an, die der Drucker gerade ausgespuckt hatte.
»Und?«, drängte Sexton.
»Seit sechs Wochen werden jeden Montag um die gleiche Zeit, um 15.30 Uhr, von demselben Geldautomaten in Sandymount neunhundertfünfzig Euro abgehoben. Das ist nicht die einzige Barabhebung in diesem Zeitraum, doch die anderen belaufen sich auf unterschiedliche Beträge und wurden an unterschiedlichen Stellen vorgenommen. Der Geldautomat in Sandymount dagegen wird konsequent benutzt, jedes Mal. Neunhundertfünzig Euro ist zugleich der Höchstbetrag, der mit der Bankkarte der Cox’ abgehoben werden kann. Wenn es sich um eine Zahlung handeln würde, wäre es üblicher, das per Lastschrift oder Dauerauftrag zu erledigen.«
Sexton dankte ihm. Er nahm die Ausdrucke, steckte sie zusammengefaltet in seine Brusttasche zu dem Brief und verließ die Bank, so schnell er konnte.
Auf dem Parkplatz wählte er Jos Nummer, um ihr von den neuen Erkenntnissen zu berichten, aber der Anruf wurde sofort auf die Mailbox umgeleitet. Er beendete ihn und sah auf die Uhr. Heute war Montag. Es war drei Uhr nachmittags. Wenn er jetzt direkt zu dem Geldautomaten fuhr, bekam er vielleicht mit, wer dort auftauchte.
Er drehte den Zündschlüssel im Schloss. Er wollte Jo beeindrucken, ihr zeigen, dass er es noch draufhatte. Nie wieder sollte sie ihn so mitleidig ansehen wie vorhin im Haus der Cox’. Auf zum Bankautomaten also. Danach würde er sie anrufen.
15
Er stand in der Tür, mit seiner ganzen Größe von eins fünfundneunzig und den einhundertvierzig Kilo. Der reinste Speckkloß, aber genauso schlagkräftig wie ein durchtrainiertes Muskelpaket. Seine Oberlippe zierte ein grauer, borstiger Walrossschnurrbart und die Unterlippe ein zehn Zentimeter langer, in ein Piercing geschraubter Metalldorn. Manche Mädchen glaubten ihm nicht, wenn er sagte, er würde damit die Eier von Freiern durchbohren, die nicht bezahlen wollten, aber Tara hatte mit eigenen Augen gesehen, wozu er fähig war, als man sie einmal in ein Casino geschickt hatte, um einen Spieler zu begleiten, der mit einem dicken Gewinn geprahlt hatte und dann die Kohle nicht vorweisen konnte. Es war nicht nur Big Johnnys Job, Leuten wehzutun – er liebte
Weitere Kostenlose Bücher