Rachespiel
machen, dass Selbstmord das Selbstsüchtigste war, was man tun konnte. Das Opfer beendete damit zwar sein persönliches Leid, aber es zerstörte zugleich das Leben der Hinterbliebenen. Mauras Tat zog so etwas wie einen Dominoeffekt nach sich, denn in letzter Zeit dachte er mehr ans Sterben als ans Leben.
Daphne hatte seinen Gemütszustand sofort bemerkt, als sie ihm begegnet war. Er war noch nie ein Freund von therapeutischer Beratung gewesen, aber sie hatte ihn gleich an ihrem ersten Tag auf dem Revier beiseitegenommen und gesagt, sie sei für ihn da, wenn er sich aussprechen wolle. Zufällig war es der zweite Jahrestag von Mauras Tod gewesen, und in seinem Kopf ging es drunter und drüber. Er war dann tatsächlich in ihren kleinen Schuhkarton von Büro gegangen, nicht um zu reden, sondern nur, um nicht mit sich allein zu sein. Er hatte nicht vorgehabt, ihr von dem Abschiedsbrief zu erzählen. Es war ihm so herausgerutscht, aber sie hatte ihm nicht wie Jo das Gefühl gegeben, ein Spinner zu sein, weil er ihn mit sich herumtrug. Sie hatte gesagt, er werde ihn schon aufmachen, wenn er dazu bereit sei. Und das würde er. Nicht auf Befehl, wie Jo es wollte, sondern wenn er so weit war.
Der Filialleiter kam mit einem Stapel Papier zurück und ging dazu über, ihn in das entsprechende Fach des Druckers einzulegen, wobei er ein wenig Small Talk machte. Sexton steckte die Hand in die Jackentasche und legte sie um Mauras Brief.
»Mist!«, fluchte der Bankmensch.
Sexton sah auf. Es hatte wieder einen Papierstau gegeben.
»Sorry«, sagte der Berater.
»Sorry« ist bestimmt das am häufigsten missbrauchte Wort , dachte Sexton. Die Leute benutzten es ständig, wenn es nicht nötig war, und nie, wenn sie es sollten. Er wünschte, er hätte es öfter zu Maura gesagt. Als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, hatte er ihr das Frühstück ans Bett gebracht. Sie war gerade dabei gewesen, jemandem eine SMS zu schreiben, hatte aber aufgehört, als er hereingekommen war, und das Handy unter ihr Kissen geschoben. Er erinnerte sich, dass sie neue Dessous angehabt hatte. Sie hatte merkwürdig darin ausgesehen. »Gibt es was zu feiern?«, hatte er gefragt, aber sie hatte nur gelächelt. Er hatte nie eine Antwort bekommen.
»Wir müssen neuerdings jeden Bleistift extra beantragen, ganz zu schweigen von Papier«, schimpfte der Bankberater, öffnete den Drucker und warf die zerknitterten Seiten in den Papierkorb. »Die da oben haben anscheinend Angst, dass wir alle ein kleines Nebengeschäft mit Büromaterial aufziehen.«
Sehe ich aus, als würde mich das einen Scheißdreck kümmern?, dachte Sexton. Maura hatte nur einen Blick auf das Rührei geworfen, das er ihr an dem Morgen gemacht hatte, und war nach nebenan ins Bad gestürzt, wo sie sich vors Klo gekniet und gekotzt hatte. Er hatte durch die Tür zugesehen, wie sie ihre langen braunen Haare mit einer Hand zurückhielt. Sie war schwanger gewesen, und es zerriss ihn jeden Tag aufs Neue, dass er es nicht gewusst oder wenigstens geahnt hatte.
»Ist Imogen oder Jeff Cox etwas zugestoßen?«, erkundigte sich der Filialleiter. »Sind Sie deshalb hergekommen?«
»Ich fürchte, es steht mir nicht frei, Ihnen Genaueres zu sagen«, antwortete Sexton.
Der Leiter begann, mit der Maus herumzuklicken. »Dann muss es wohl etwas Ernstes sein. Ihr von der Kriminalpolizei gebt doch nie die genaueren Todesumstände bekannt, bis die Familie informiert wurde. Bei einem Raubüberfall wäre das was anderes, in dem Fall würden die Einzelheiten so schnell wie möglich an die Öffentlichkeit gebracht werden. Ich habe vorhin den Gardaí-Hubschrauber dort draußen kreisen sehen und mich gefragt, was da wohl los ist. Ich wette, Ihr Besuch hat was damit zu tun, oder?«
Sexton stand ungeduldig auf. »Ich bin etwas unter Zeitdruck.«
Der Bankberater wandte sich wieder seinem Bildschirm zu. »Eine Sekunde bitte … Imogen und Jeff Cox. Da haben wir’s.« Er hüstelte befangen. »Wissen Sie, ich habe in den Nachrichten gehört, dass es einen Zwischenfall in Killiney gegeben hat, bei dem eine Frau verletzt wurde. Dort wohnen ja auch die Cox’ …«
Sexton seufzte und unternahm eine bewusste Anstrengung, sich zu entspannen. Es war ja nichts Persönliches, nur sein übliches Pech, dass er an den geschwätzigsten Bankangestellten von Dublin geraten musste. »Wie gesagt, ich darf nicht darüber sprechen.«
»Ich habe gehört, dass die Frau um die vierzig ist, so wie Imogen Cox, und mit Kopfverletzungen ins
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