Rachespiel
nur zwei Artikel gekauft hatte. Der erste war mit » GL « bezeichnet und hatte 22 Cent gekostet. »Government Levy«, schlussfolgerte sie, eine Abgabe zur Müllvermeidung, und ordnete den Preis einer Plastiktüte zu. Der zweite war als »Sanitärartikel« benannt und hatte € 11.99 gekostet – zu viel für eine Flasche Shampoo oder eine Packung Binden.
Sie wählte die Nummer der Tankstelle, die oben auf jeder Quittung stand. Als sich ein Mann mit chinesischem Akzent meldete, sagte sie, wer sie war, und bat ihn nachzusehen, um was es sich bei dem Posten handelte. Dazu nannte sie laut und deutlich die Ziffern des Barcodes. Er sagte, sie solle dranbleiben.
Sie richtete die Fernbedienung auf den DVD -Spieler und drückte auf »Pause«.
»Das sind Nachthöschen«, berichtete der Angestellte.
»Was?«
»Nachthöschen – für Kinder bei Nacht, das sagt der Barcode, was das Produkt ist.«
»Meinen Sie Windeln?«
»Ja, zum Trockenwerden … Wenn das Kind abends ins Bett geht.«
Jo dankte ihm und legte auf, starrte perplex auf die Quittung. Es konnte reiner Zufall sein, dass jemand diesen Artikel genau an dem Abend, an dem Presley verschwunden war, gekauft hatte, andererseits war die Tankstelle in ihrer Eigenschaft als Minimarkt nicht gerade einladend. Vielleicht hatten alle anderen Läden in der Gegend schon geschlossen gehabt … Aber lagen die meisten Kleinkinder um neun Uhr abends nicht längst im Bett? Sie warf noch einen Blick auf den Bon und fluchte leise, als sie feststellte, dass bar bezahlt worden war. Die Nummer einer Visa-Karte hätte sie direkt zum Käufer geführt. So aber würde sie die angegebene Uhrzeit mit den Videoaufnahmen abgleichen und versuchen müssen, die betreffende Person im Laden über das Auto zu identifizieren, in das sie gestiegen war. Immer vorausgesetzt, dass sie selbst gefahren war …
Jo konzentrierte sich auf den Bildschirm. Der Timecode unten rechts zeigte 20.58 Uhr an, und sie konnte die auffällig gestreifte Motorhaube von Taras Auto in einer der Tankbuchten erkennen. Idealerweise hätte sie sich nun zuerst das Kommen und Gehen in der Stunde zuvor auf irgendwelche verdächtigen Aktivitäten hin angesehen, aber sie war unter Zeitdruck und musste selektiv vorgehen. Die gute Nachricht war, dass die Tankstelle über eine Video-Überwachungsanlage auf dem neuesten Stand der Technik verfügte und die Bilder daher nicht so unscharf waren wie bei vielen noch im Einsatz befindlichen Überwachungskameras der Stadt. Es war wie Fernsehen, nur ohne Ton.
Sie drehte den Stapel Aussageprotokolle, den sie für Hassans Vernehmung mitgenommen hatte, um, damit sie ein paar leere Seiten hatte, legte ihn quer und fertigte eine grobe Positionsskizze von dem an, was sie auf dem Bildschirm sah. Oben in der Mitte zeichnete sie den Eingang zum Shop ein, rechts davon die Tür zur Kundentoilette. Darunter zog sie fünf Linien für die sechs Tankbuchten und nummerierte sie von links nach rechts durch. In die fünfte Bucht zeichnete sie ein Rechteck mit einem X darin, das Taras Auto darstellen sollte.
Indem sie mit der Fernbedienung Bild für Bild abspulte, fand sie heraus, dass der Wagen an der vierten Zapfsäule, links von Tara, wenn man zum Shop-Eingang blickte, ein weißer Mitsubishi war. Jo zeichnete ein Kästchen und schrieb das Kfz-Kennzeichen hinein.
In Bucht drei erkannte sie den dunkelroten Hiace, dessen Bedeutung sie dank Hassans Aussage jetzt zu verstehen begann. Auch ihn stellte sie durch ein Rechteck dar und notierte das Kennzeichen.
Die Zapfsäule in Bucht Nummer sechs – rechts von Tara und am nächsten zur Straße – war offenbar den zwei Fahrern nach zu urteilen außer Betrieb, denn diese hatten den Fehler begangen, dort hineinzufahren und dann versucht, zurückzustoßen und sich drängelnd wieder einzureihen, wobei sie Gewalt im Straßenverkehr beziehungsweise Aggressivität in der Warteschlange ausgelöst hatten. Jo konnte sich das Geschimpfe angesichts der Gesten und aus den Fenstern gereckten Köpfe lebhaft vorstellen.
Das Fahrzeug in Bucht eins erregte ebenfalls ihre Aufmerksamkeit, weil ein Wohnmobil in diesem Teil der Innenstadt ziemlich eigenartig war, noch dazu zu dieser Jahreszeit. Es hatte ein polnisches Nummernschild, bemerkte sie. Konnten natürlich Leute sein, die auf möglichst kostensparende Art Verwandte besuchen wollten, auch wenn viele der in Dublin lebenden Polen seit Beginn der Wirtschaftskrise in ihre Heimat zurückgekehrt waren.
Nach viel Vor- und
Weitere Kostenlose Bücher