Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Seit fünf Jahren waren sie schon verheiratet gewesen und hatten vergeblich versucht, Kinder zu bekommen. Sie bekam ihren Willen, und die beiden – Pflegemutter und Kind – wuchsen unzertrennlich zusammen.
Er war die ganze Zeit bei ihr, wie ein kleines, mageres Affenkind. Er war sechs, als er zu ihr kam. Er hatte unzählige Krankheiten und Mangelerscheinungen, weil seine Mutter drogenabhängig gewesen war und ihrem Kind viele Schäden mitgegeben hatte. Er war sehr oft krank, und sie pflegte ihn hingebungsvoll, immer verfolgt von der Angst, dass er ihr eines Tages weggenommen werden könnte.
Poff, poff.
Ihre Schläge prasselten auf den Ball ein, so wie die von William früher auf sie. Aber den Jungen hatte er nie angefasst. Kein einziges Mal. Nicht, solange sie ihn beschützte.
Aber am Ende hatte sie ihn doch verloren. Sie verlor ihn aus den Augen, und die Ereignisse, die dazu geführt hatten, hatte sie entweder erfolgreich verdrängt oder einfach vergessen.
Wo lebte er jetzt? Sie hatte keine Ahnung. Sie hatte vor langer Zeit ein Kind geliebt. Genau genommen hatte sie zwei Kinder geliebt, das eine davon war ihr eigenes.
»Aber du machst das jetzt nicht mehr, oder? Du hast doch jetzt mich.«
Sie hatten miteinander geschlafen, Asbjørn stützte sich auf die Ellenbogen und sah sie mit strengem Blick an.
»Bist du eifersüchtig?«
Sie lächelte und spielte mit seinen Haaren. »Das ist doch alles schon so lange her.«
»Aber du machst das jetzt nicht mehr, oder?«
»Jetzt habe ich doch dich.«
»Und brauchst keinen anderen?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte weder Lust noch Zeit dazu. Er war alles, was sie sich wünschen konnte, zumindest rein physisch. Alles andere konnte sie sich anders erfüllen. Und trotzdem hatte sie diese Sehnsucht. Die Sehnsucht nach einem Menschen, der alles abdecken konnte. Einem, den sie sowohl physisch als auch psychisch lieben und begehren konnte. Einem, mit dem sie alles teilen konnte, auch all das, was man nicht teilen konnte.
»Ich brauche keinen anderen.«
Sie streichelte ihm über Brust und Oberarm, wo sich die Haut über die Muskeln spannte und blonde, fast goldene Haare sie an ein reifes Getreide denken ließen.
»Aber du darfst auch nicht vergessen, dass wir uns so kennengelernt haben. Wenn ich die beiden anderen nicht ausprobiert hätte, wäre ich dir unter Umständen nie begegnet.«
Selbstverständlich waren es mehr als diese zwei gewesen, aber sie brachte es nicht übers Herz, ihm das zu sagen. Es waren auch Nieten dabei gewesen. Unangenehme Erfahrungen, die sie am liebsten für immer vergessen wollte. Aber die meisten hatten ihr Genuss bereitet, und die beste Begegnung war die mit Asbjørn gewesen.
»Erinnerst du dich noch?«
Seine Stimme hatte etwas Verträumtes, er war ein hoffnungsloser Romantiker, viel mehr als sie.
»Das Hotel? Scandic? Nicht wirklich der exotischste Ort der Stadt«, gab sie zu, »aber erschwinglich.«
»Du warst so schön. In deinem blauen Kleid. Seide. Mit Trägern, die immer runtergerutscht sind. Und diese Kurven. Hmm.«
Er rückte dicht an sie heran, sie genoss die Wärme seines Körpers, aber tief in ihr war es kalt. Sie hatte versucht, die Mails zu vergessen, aber es war fast unmöglich. Sie hatte sich auf ihre Arbeit konzentriert, vor allem auf ihre Ziele als zukünftige Bürgermeisterin. Sie würde sich zuerst um soziale Fragen kümmern.Alle wussten, dass etwas mit den Abläufen in den Sozialämtern nicht stimmte. Seit der Fernsehsendung über die fehlende Bereitschaft zur Zwangsentfernung war deutlich geworden, dass es mit der Kultur in der Gesellschaft nicht so weit her war, wie es eigentlich sein sollte. Das Wohl des Kindes wurde nicht als oberste Priorität gesehen. Und daran musste sich etwas ändern.
Das Wohl des Kindes. War sie dem gerecht geworden? In dem einen Fall würde sie auch heute noch mit Ja antworten. Aber in dem anderen? Da wuchs ihre Unsicherheit.
Asbjørn begann mit ihren Brüsten zu spielen und ließ seine Hände an ihrem Körper hinabgleiten. Wie immer legte er eine Ausdauer an den Tag wie ein Tour-de-France-Fahrer, und meist gefiel ihr das auch sehr. Aber nicht an diesem Abend.
»Ich muss kurz mal eben was überprüfen, caro.«
Sie schubste ihn mit einem Kuss von sich, um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen. Sie setzte sich vor ihren PC, fühlte sich von einer unsichtbaren Kraft nahezu in den Computer hineingezogen.
Sie öffnete ihren Mail-Account. Ihr Herz schlug wild, als sie den Namen des
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