Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
einzufahren?«
»Ich will gar nichts andeuten. Ich habe nur versucht, zu beurteilen, ob ein möglicher Zusammenhang bestehen könnte. Ein Zufall scheint mir leider unwahrscheinlich«, erwiderte sie, während sie bemerkte, wie Bos Formulierung ihres Verwandtschaftsverhältnisses Kratzer in ihren Panzer ritzte. Denn sie war damals nicht nur wegen der letzten Geschichte zum Arzt gegangen, um mit ihm über ihre dunklen Gedanken und das mangelnde Konzentrationsvermögen zu reden. Sie beide wussten, dass das Problem Peter Boutrup einen ebenso großen Stellenwert hatte, ohne es jedoch anzusprechen. Sie hatte es nicht gewollt, und Bo hatte sich nicht getraut.
Sie dachte an die Tabletten, die sie am Morgen weggeworfen hatte, und an ihr eigenes Bedürfnis danach, das Leben wieder zu spüren. Es hatte keinen Sinn, sich von der Welt abzukapseln, so wie sie es monatelang getan hatte. Es hatte keinen Sinn, zu ignorieren, dass sie einen Sohn hatte, der nicht der Wunschvorstellung einer Schwiegermutter entsprach. Oder eben der einer Mutter.
»Hattest du Kontakt zu ihm?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Weißt du, wo er sich jetzt aufhält?«
»Nee.«
»Kennst du jemanden, der das wissen könnte?«
»Auch nicht. Und übrigens bin ich keine Verdächtige, die du verhören sollst.«
Bo verzog sein Gesicht zu einem freundlichen Lächeln.
»Aber du hast dich geweigert, dich damit auseinanderzusetzen. Du hast vor langer Zeit einen Sohn zur Welt gebracht, den du zur Adoption freigegeben hast und der seitdem wie ein romantisches Phantom durch dein Leben geistert. Dann hast du herausgefunden, dass er gar nicht perfekt ist, und ein Teil von dir glaubt, du bist schuld daran. So ist es nicht, aber du kannst diese Schuld nicht abschütteln, habe ich recht?«
Hatte er das? Sie war außerstande, das zu beurteilen.
»Mir gefällt der Gedanke ganz und gar nicht, Dicte, aber du musst ihn finden. Und du musst ihm einen Platz in deinem Leben einräumen.«
Es gab keine Tabletten in Reichweite. Keine Rettung, wie kurzfristig die auch sein mochte.
»Er hat jemanden umgebracht«, flüsterte sie.
»Ich will dich nur ungern daran erinnern, aber das hast du auch.«
KAPITEL 13
»Hier sieht man ihn im Bahnhof. Und dort am Kiosk.«
Wagner konzentrierte sich auf den körnigen Filmausschnitt. Ein junger Mann mit kurzen, schwarzen Haaren und einem halblangen Bart lief zielsicher durch die Bahnhofshalle. Er trug einen schwarzen Jogginganzug und einen großen Rucksack, der schwer beladen aussah. In der nächsten Bildsequenz sah man ihn etwas im Kiosk kaufen. Dann wandte er der Kamera den Rücken zu und verließ das Geschäft wieder.
»Mehrere Zeugen haben ihn durch die Fußgängerzone unddie Østergade hochlaufen sehen. Und er ist auch auf dieser Aufnahme hier zu finden«, sagte Alfred Thørgensen von der IT-Abteilung.
Eine weitere Bildsequenz tauchte auf dem Computerbildschirm auf. Man sah denselben Mann erneut, diesmal auf dem Bürgersteig vor dem Solarium. Sie hatten das Material aus der Überwachungskamera gewonnen. Der Mann verschwand für etwa eine halbe Minute aus dem Sichtfeld, dann kam er wieder heraus.
Der Techniker fror das Bild ein.
»Jetzt achte genau auf seinen Rucksack, wie er sich jetzt bewegt.«
Wagner lehnte sich vor.
»Der ist viel leichter«, sagte er. »Er geht, als hätte er weniger Gewicht auf den Schultern.«
Thørgensen schloss das Fenster.
»Und was ist mit dem Auto im Parkhaus vom
Magasin
?«, fragte Wagner. »Habt ihr da etwas Entsprechendes? Es müssen ja zwei Täter gewesen sein.«
Thørgensen nickte.
»Die Vorgehensweise ähnelt sich. Es handelt sich ebenfalls um einen noch nicht identifizierten jungen Mann, der auch ein Migrant der zweiten Generation sein könnte.«
Er klickte ein Foto an, das allerdings wesentlich unschärfer war als die anderen Aufnahmen. Man konnte auch hier einen jungen Mann mit Rucksack erkennen, der aber angesichts der Körnigkeit wahrscheinlich noch schwerer zu identifizieren war, dachte Wagner.
»Das passt doch alles zusammen«, sagte Thørgensen. »Solarium, Rocker, Drogen, Geldwäsche, so was eben …«
Wagner nickte. Das passte alles perfekt zusammen. Der Krieg um das Drogengeschäft tobte zwischen diesen beiden Gruppen. Besonders in Kopenhagen hatte er bedrohliche Dimensionen angenommen, mit Schusswechseln auf offener Straße, einem Angriff mit Handgranaten auf das Hauptquartier derHells Angels in Risskov, wobei ein bewaffneter Mann vor dem Haus festgenommen wurde. Ja, das Attentat
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