Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Schachbrett, und pumpt uns mit Medikamenten voll, damit wir bloß nicht anfangen zu denken und zu viel zu spüren.
Die Tablette in der Hand wurde immer schwerer und zog den Arm herunter.
Sie benötigte dringend ihr Handlungsvermögen zurück, um begreifen zu können, was um sie herum geschah und wer ihre Feinde waren. Um das zu erhalten, war sie gezwungen, alles zu spüren, Freude, Trauer und alles dazwischen. Sie wollte lieben können, ohne das Gefühl von Wiederholung und Gleichgültigkeit, und sie musste hassen können, ja, und sogar töten und die Konsequenzen tragen können, wenn das notwendig war. Bis jetzt hatte sie sich eingeschlossen, hatte die Augen verschlossen und sich versteckt, erst aus Ohnmacht und in schwarze Löcher stürzend, dann mit Hilfe der Tabletten, die ihr Leben zwar erträglich machten, aber auch unwirklich.
Sie nahm das Glas Cipramil und die Stesolid-Tabletten aus dem Regal, ging in die Küche und öffnete den Mülleimer. Bo machte sich gerade den letzten Kaffee, bevor er zur Arbeit in der Redaktion aufbrechen würde. Als er sah, wie sie die Tabletten in den Müll warf, hob er eine Augenbraue.
»Sicher?«, fragte er und schlürfte seinen Kaffee.
»Hmm.«
»Okay«, erwiderte er nur.
Vielleicht war das ein kleines, zufriedenes Lächeln, das sie da in seinen Mundwinkeln entdeckte, bevor er den restlichen Kaffee austrank und sich gleichzeitig auf die Suche nach dem Autoschlüssel begab. Aber vielleicht bedeutete es auch das genaue Gegenteil. Es kam ihr der Gedanke, dass er sie vielleicht doch gerne eingesperrt sah, mit gestutzten Flügeln und jener Kraft beraubt, die sie so oft schon in gefährliche Situationen gebracht hatte. Aber nein, das war ungerecht, dachte sie, während auch sie sich fertig machte, um das Haus in Kasted zu verlassen. So war es nicht. Eine innere Stimme sagte, dass auch er die alte Ausgabe von Dicte zurückwollte.
In der Redaktion in der Frederiksgade hatten sie eine neue Putzfrau eingestellt, die sich offenbar vorgenommen hatte, mal so richtig aufzuräumen.
»Irgendwie stimmt das hier alles nicht mehr«, sagte Davidsen und biss in einen Apfel, der so sauer aussah, wie seine Laune war. »Sie soll gefälligst nicht hier rumrennen und ihre Nase überall reinstecken.«
»Hier fehlt etwas Fundamentales«, brummte Holger Søborg und ließ seinen Blick über die blitzeblanken Tische und Bildschirme wandern, die man ohne weiteres als Spiegel benutzen konnte.
»Ach, gedenken wir der Zeit, als die Aschenbecher überquollen und ihren hinreißenden Duft des gestrigen Tages verströmten und als Berge von alten Zeitungen unser Bollwerk gegen die Umwelt waren«, klagte Bo und kochte noch mehr Kaffee.
»Lasst uns einen Protestbrief aufsetzen und ihn auf Facebook posten.«
Dicte hob die Nase und schnupperte, sie mochte den frischen Duft von Reinigungsmitteln und vergab fünf von sechs möglichen Punkten, während sie mit ihrer Post in der Hand zum Schreibtisch schlenderte. Nachdem sie die diversen Pressemitteilungen und Einladungen durchgesehen hatte, rief sie die Redaktion in Kopenhagen an und ließ sich mit der Wirtschaftsabteilung verbinden.
»Hanne Falster.«
»Hallo, wie geht’s. Hast du vielleicht etwas für mich?«
»Ach, du bist es. Ja, warte einen Augenblick.«
Dicte hörte das Rascheln von Papier und sah den Notizblock vor sich, der durchgeblättert wurde. Computerzeitalter hin oder her, das wichtigste Werkzeug eines Journalisten waren und blieben Stift und Papier.
»Der Verantwortliche heißt Matti Jørgensen.«
Dicte hatte die Wirtschaftsabteilung gebeten, die Anteilsgesellschaft zu überprüfen, die sich hinter
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verbarg, die wiederum als Eigentümer des Solariums angegeben wurde.
»Das ist eine ziemlich verworrene Konstruktion«, sagte Hanne Falster, eine ehemalige Kollegin aus den gemeinsamen Jahren in der Hauptstadtredaktion. Sie war erfrischend, laut und sprach wahnsinnig schnell in ausgeprägtem Kopenhagener Dialekt, man musste sich sehr konzentrieren, um alles mitzubekommen.
»Mehrere Anteilsgesellschaften, undurchsichtige Besitzverhältnisse und etwas anrüchige Eigentümer; einige von denen standen früher in enger Verbindung zum Rockermilieu.«
Die Information schossen durch die Leitung, ohne das Dicte einen einzigen Atemzug zwischen den Sätzen hören konnte.
»Hast du noch andere Namen?«
Hanne Falster zählte ein paar Namen in hoher Geschwindigkeit auf. Dicte notierte sich alle, aber sie konnte mit keinem etwas anfangen,
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