Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
ziehen.
»Zuhören!«, sagte Lena Lund mit einem ausgeprägten Ålborger Dialekt und einer Tonlage, die das Gespräch von Ivar K und Christian Hvidt augenblicklich verstummen ließ.
Sie wartete, bis die Stille unangenehm zu werden drohte. Aber immerhin gelang es ihr so, die vollkommene Aufmerksamkeit ihrer Kollegen zu bekommen, obwohl Wagner genau registrierte, dass weder Christian noch Ivar K besonders begeistert davon waren. Die Mitglieder seiner Abteilung hatten offenbar das Gefühl, dass Lena Lund eine Zwangsbekanntschaft war, und er hatte sich fest vorgenommen, den etwas ablehnenden Empfang der Neuen zu entschärfen. Sie schuldeten ihr eine faire Behandlung trotz der unglücklichen Umstände. Hartvigsens merkwürdige Rochade sollte sie nicht ausbaden müssen.
»Um fünfzehn null fünf Ortszeit am Donnerstag, den 11. September, ereignet sich im Solarium in der Østergade eine Explosion. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich glücklicherweise niemand in den Räumen des Solariums, das vollkommen zerstört wird. Die Detonation zieht aber auch die Wohnung im ersten Stock in Mitleidenschaft, in der unser Opfer wohnt, die neunundzwanzigjährige Adda Boel. Sie ist Frührentnerin und leidet an einer Lungenkrankheit.« Lena Lund blätterte in ihren Aufzeichnungen. »Es handelt sich um einen Alpha-1-Antitrypsin- Mangel [oder das Laurell-Eriksson-Syndrom], der sie von der Versorgung durch einen Sauerstoffapparat abhängig gemacht hat. Wir warten noch auf die Laborergebnisse der rechtsmedizinischenAbteilung, aber alles deutet darauf hin, dass sie bei den aufeinanderfolgenden Explosionen ums Leben kam. Zuerst die im Solarium und dann die dadurch ausgelöste Detonation ihrer Sauerstoffflasche. Da in ihren Lungen kein Ruß gefunden wurde, gehen wir davon aus, dass der Schlauch ihrer Sauerstoffflasche undicht war und sie deshalb in unmittelbarer Nähe explodiert ist. Sie war also nicht, wie zuerst angenommen, an die Flasche angeschlossen.«
Wagner registrierte die fehlende Pause in Lunds Vortrag. Sie fuhr einfach fort mit nüchternem Blick und einer Stimme, die durch Mark und Bein ging.
»Exakt zehn Minuten später, um fünfzehn fünfzehn, ereignet sich die zweite Bombenexplosion, ein Auto im Parkhaus des
Magasin
-Kaufhauses. Der Wagen gehört der Bürgermeisterkandidatin der Opposition, Francesca Olsen, die am frühen Vormittag von einer Reise zurückgekehrt war und einen Einbruch meldet. Das Einzige, was die Täter entwendet haben, ist ihr Wagen.« Lena Lund machte eine Kunstpause und nahm einen Schluck Kaffee, bevor sie fortfuhr. »Das Haus sowie das Solarium gehören einem Matti Jørgensen, dem zwar Verbindungen zum Rockermilieu nachgewiesen werden können, der aber noch nie angezeigt oder verurteilt worden ist. Die gegenwärtige Annahme lautet, dass es sich um einen Bandenkrieg handelt, allerdings fehlt uns die Verbindung zur Bürgermeisterkandidatin.«
»Was sagt denn Francesca Olsen dazu?«, fragte Wagner.
Lena Lund antwortete, ohne zu zögern.
»Christian und ich haben gestern etwa eine Stunde mit ihr gesprochen, sie bestreitet, jemals von Matti Jørgensen oder Adda Boel gehört zu haben. Sie ist sich bewusst, dass sie als Politikerin zur Zielscheibe werden kann, aber hat nach eigener Aussage keine persönlichen Feinde, weder im Rockermilieu noch unter den Migranten.«
»Abgesehen davon, dass sie alle am liebsten in den erstbesten Flieger nach Afghanistan setzen und ohne Fallschirm über Kabul rauswerfen würde«, warf Ivar K ein.
»Hat sie das so gesagt?«, fragte Hansen.
»Vielleicht nicht wortwörtlich, aber sie ist doch bekannt für ihre harte Linie in Sachen Kriminalität. Ist das nicht in Wirklichkeit der Hauptbestandteil ihrer Kandidatur? Neben dem üblichen sozialen Mist über die Schwachen und was weiß ich denn.«
Ivar K untersuchte ausgiebig seine Nägel, die in letzter Zeit immer schwarze Ränder hatten, seit er an seiner Harley bastelte. Lena Lunds Gesichtsausdruck blieb sachlich und kühl.
»Okay!«, sagte Wagner. »Und, haben wir ein Motiv?«
»So wie ich es sehe, haben wir zu viele Motive«, erwiderte Lund. »Migranten, die keine Veränderungen wollen, auf der einen Seite und eine neue, strenge Bürgermeisterkandidatin auf der anderen. Und der Kampf um den Drogenmarkt und die gegenseitigen Rachefeldzüge.«
»Aber trotzdem: Was haben die beiden Fälle miteinander zu tun?«, hakte Wagner nach.
Es war für einen Moment sehr still. Wagner fingerte an den Tageszeitungen herum, die aufgeschlagen
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