Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
aufhören.«
»Tja …«
»Vor allem wenn man an diese Lungenkrankheit denkt, die sie hatte. Total am Ende war sie. Ging immer irre langsam mit ihren Einkaufstüten die Straße entlang, da haben wir auch mal geholfen.«
»Beim Tragen?«
»Ja, aber nur, wenn wir sowieso Pause gemacht haben. Das war ja nicht auszuhalten. Obwohl es einen Aufzug gab.«
Er senkte die Stimme.
»Ein paarmal hat sie uns als Dankeschön ein Bier ausgegeben. Das dürfen wir eigentlich nicht annehmen, Personalpolitik, Sie wissen schon! Darum haben wir es heimlich getrunken.«
Sein Lächeln war auch in der Stimme zu hören. »Doch, sie war echt in Ordnung.«
»Und an diesem besonderen Tag? Haben Sie die Frau da auch gesehen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Und am Tag davor?«
»Na, das war doch das mit den Einkaufstüten. Sie hatte Gäste erwartet, hat sie uns erzählt. Sie sah ganz fröhlich aus.«
»Gäste …«
In diesem Augenblick klingelte Dictes Handy. Bos Nummer stand auf dem Display.
Irritiert nahm sie das Gespräch entgegen. »Ja?«
»Es gibt eine Pressekonferenz um drei«, verkündete er, sie hörte, dass er Auto fuhr. »Außerplanmäßig, es muss Neuigkeiten geben.«
Sie sah auf die Uhr. Es war Viertel vor.
»Ich komme.«
Sie drehte sich um, aber der Bauarbeiter hatte seine Zigarettenpause beendet und sich wieder auf den Weg zum Gerüst gemacht. Er wandte den Kopf und nickte ihr zu.
»Machen Sie es gut.«
»Warten Sie.«
Er blieb stehen. Sie suchte verzweifelt nach einer Formulierung, die nicht nach Journalistin klang.
»Sie wurde ein paar Stunden vor der Explosion umgebracht. Haben Sie davon gehört?«
Erneut schüttelte er den Kopf.
»Ich bin da im Moment nicht so auf dem Laufenden. Die Arbeit hat Vorrang, so viel wie geht. Sie wissen schon, die Krise.«
»Ich dachte ja nur, vielleicht haben Sie oder einer ihrer Kollegen etwas gesehen, was für die Aufklärung des Falles nützlich sein könnte? Eine Person, die in die Wohnung gegangen ist oder wieder herauskam, zum Beispiel.«
Sie warf die Hände in die Luft. »So was in der Art.«
Er starrte in die Luft. Ein Auto hupte, ein Radfahrer fuhr auf den Bürgersteig. Es war ein ganz normaler Tag, und die Straßen waren voll mit Menschen. Sie dachte zuerst, er hätte die Frage vergessen, als er plötzlich antwortete.
»Na ja, da war dieser Typ. Er ist ganz früh morgens aus dem Haus gekommen. Wir hatten gerade angefangen, dann war es wohl so gegen acht? Ich habe mir gedacht, dass er bestimmt der Gast war, von dem sie erzählt hatte.«
»Könnten Sie den beschreiben?«
Er gab eine Beschreibung, die auf jeden zweiten Mann gepasst hätte. Sie warf einen erneuten Blick auf die Uhr.
»Ich muss leider los. Sind Sie morgen auch noch hier?«
Er nickte und ging weiter. Dann rief er ihr über die Schulter zu: »Sie finden uns hier noch die ganze Woche.«
Sie zögerte einen Moment, ob sie ihm ihre Visitenkarte geben sollte, aber darauf stand, dass sie Journalistin war, und das fand sie unpassend. Für ihn war sie bisher nur eine Frau, die Opfer einer Bombenexplosion geworden war.
»Vielleicht sehen wir uns mal wieder«, sagte sie zum Abschied. »Und vielleicht fällt Ihnen noch etwas ein?«
Er nickte zwar, erwiderte aber nichts.
Die Pressekonferenz war sehr kurzfristig anberaumt worden, deshalb saßen auch nur eine Handvoll Journalisten und Fotografen im Saal des Polizeipräsidiums. Wagner und Hartvigsenperformten wie gewohnt. Hinter ihnen hatten sich ein paar ihrer Teamkollegen postiert. Dicte fiel auf, dass Lena Lund einen gewissen Abstand zu ihnen hielt.
Bo war schon da, als sie eintraf. Er hatte in einem vertrauten Gespräch mit der kleinen Renate Rotkäppchen von der Zeitung
Stiftens
gestanden. Dicte hatte ihr diesen Spitznamen gegeben. Die beiden warfen sich das ausgelassene Lachen wie einen Ball hin und her.
Die Konferenz war ausgesprochen kurz. Wagner eröffnete sie. Dicte sah, dass sie die volle Ausrüstung dabeihatten, mit PowerPoint und Leinwand und allem Drum und Dran.
»Wir haben diese Pressekonferenz einberufen, weil sich neue Erkenntnisse in dem Adda-Boel-Fall ergeben haben.«
Die Zuhörer rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Der Adda-Boel-Fall. Jetzt hieß er nicht mehr der Solarium-Fall, dachte Dicte. Adda Boel war befördert worden und hatte den Status einer wichtigen Leiche erhalten.
»Wir haben die Ergebnisse der DNA-Analysen der Spermaprobe, die wir in der Vagina der Toten, sowie der Speichelprobe, die wir auf ihrer rechten
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