Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Bürgermeisterkandidaten zu sammeln. Aber die anderen zögerten, nicht zuletzt wegen der guten Umfrageergebnisse in der
Jyllands-Posten
.
»Wir können doch nicht zu einer populistischen Partei mutieren und blind irgendwelchen Wählerumfragen folgen«, protestierte Balleby. »Wir sind eine seriöse liberale Partei und können uns solche Leichen im Keller nicht leisten.«
Sie wartete geduldig, bis alle ihre Vorurteile und verstockten Einstellungen geäußert hatten. Sie hatte es so genossen damals, wirklich genossen. Das Internet war ein Geschenk des Himmels gewesen für eine wie sie, bei der das Blut ab und zu in Wallung geriet und der Druck Erleichterung verlangte. Und die Befriedigung war nur ein Klick entfernt, hatte sie da herausgefunden. Lediglich ein Codewort, eine extra Mailadresse und eine Halbmaske oder hochgesteckte Haare und eine dunkle Sonnenbrille brauchte es dazu. Und schon konnte sie via Kamera mit Männern in Kontakt kommen, denen sie niemals in der Realität begegnet wäre, weil sie keine Zeit hatte und auch gar nicht wusste, wie man das anstellte. Datingseiten, Pornoseiten, Escortservice. Sie kannte alles. Ihr Appetit war groß, und darüber freute sie sich. Denn es hatte auch Zeiten gegeben, in denen der bloße Gedanke an Sex ihr den Magen umgedreht hatte. Paradoxerweise war das in ihrer Ehe so gewesen.
»Du bist doch religiös!«, Balleby formulierte es eher wie eine Frage. »Ist das für eine Katholikin keine Sünde? Oder geht man danach einfach in die Kirche, beichtet eine Runde und kauft sich damit den Sündenerlass?«
Sie wägte kurz ab, ob er überhaupt einer Antwort würdig war. Balleby mit einer Frau, die so übergewichtig war wie der Fraktionsvorsitzende und so unsexy wie Eva Frandsen an einem schlechten Tag.
»Ich bin nicht verheiratet«, sagte sie stattdessen. »Nicht mehr. Ich bin ein erwachsener, verantwortungsbewusster und modern denkender Mensch und betrachte meinen Körper und meine Lust als etwas, worauf ich stolz sein kann.«
Das schien der richtige Augenblick zu sein, einen Schlussstrich zu ziehen. Sie ließ ihren Blick über die Anwesenden gleiten und hatte mit jedem von ihnen Mitleid. Die Fettleibigkeit des Fraktionsvorsitzenden, Eva Frandsens langweilige Verklemmtheit, Ballebys Mundgeruch und die viel zu eng sitzenden Hemden. Ein jeder von ihnen hatte Angst vor ihrer Sexualität, so wie die Inquisition Angst vor der Ketzerei gehabt hatte. Angst davor, die Kontrolle und Macht über jene zu verlieren, die alles entschieden, nämlich die Wähler.
Sie nickte ihnen freundlich zu.
»Ich gehe davon aus, dass wir hier fertig sind. Ihr wisst, wo ihr mich finden könnt.«
Dann erhob sie sich und ging.
KAPITEL 42
Das Telefon klingelte, gerade als sie sich an diesem Morgen auf den Weg in die Redaktion machen wollte. Dicte erkannte Tammis Stimme sofort wieder. Sie hatte eine Sanftheit, die so gar nicht zu dem Bild einer Prostituierten passen wollte. Aber sie hörte auch eine Nervosität darin, als würde jemand neben ihr stehen und ihr eine Pistole an die Schläfe drücken.
»Sie müssen mir versprechen, dass das hier unter uns bleibt.«
»Das verspreche ich.«
»Laila ist nur sehr vorsichtig. Das ist die Branche! Wir müssen alle vorsichtig sein.«
»Das verstehe ich gut.«
»Mein Sohn hat Diabetes.«
Das kam etwas unvermittelt, aber Dicte griff den Themenwechsel dankbar auf. »Das tut mir leid. Das muss schwer für Sie sein.«
»Ist schwerer für ihn. Es ist immer schlimmer für die Kinder, oder?«
Es herrschte Schweigen in der Leitung. Dann erklang Tammis Stimme erneut:
»Laila stammt aus Ry. Ihre Eltern leben noch dort. Sie ist dort auch zur Schule gegangen, aber dann hat sie nach der Neunten hingeschmissen und ist mit einem Typen zusammengekommen und nach Århus gezogen. Sie hatte keine Kohle und ist dann irgendwann anschaffen gegangen. War seine Idee.«
»Ein Zuhälter?«
»Irgendwie schon. Aber das ging nicht lange gut. Laila ist clever und hatte bald keine Lust, jemandem Geld zu geben, der dafür aber nicht die Beine breit machen musste. Seitdem macht sie es allein.«
»Glückliche Huren, also?«, rutschte es Dicte heraus. »Seid ihr das?«
Tammi schwieg, Dicte hätte sich die Zunge abbeißen können. Hatte sie mit dieser Frage jetzt alles verdorben?
»Bestimmt nicht glücklicher als so viele andere«, antwortete Tammi nach einer gefühlten Ewigkeit. »Unser Job ist ja auch ein bisschen was anderes als normal.«
»Kennt Laila Peter?«
»Ja, sie kennt
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