Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
und habe mit ihr geschlafen. Das war unsere Absprache gewesen. Das war das Erste, was ich nach der Entlassung getan habe.«
»Wart ihr ein Paar?«
An der Decke bildeten zwei Flecken ein Gesicht. Ohren, Nase, Mund. Haare. Der Mund lächelte in einer Weise, dass es fast weh tat.
»Waren wir mal. Das ist lange her. Bevor sie krank wurde.«
Er erlaubte sich einen kurzen Moment der Erinnerung. Addas Gang über die Auffahrt, für ihn war sie ein Sommervogel. Ihr Lächeln und ihre Haare, die das Gesicht umrahmten, damals auf der Wiese im strömenden Regen. Ihr Körper, der immer schon so zart und leicht gewesen war, dass man sie sich einfach über die Schulter legen und mit ihr herumlaufen konnte, während sie wie ein kleines Ferkel schrie. Auch an die Angst in ihren Augen erinnerte er sich, die er so gut hatte verjagen können. Er hatte ein Arsenal an Witzen und schlagfertigen Antworten parat, alles nur ihr zuliebe. Er hatte alles gesammelt, was ihr Freude machen konnte.
Miriam stützte sich auf beide Ellenbogen.
»Eines Tages möchte ich auch geliebt werden. Das nur als Randbemerkung. So richtig geliebt!«
Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
»So ein Quatsch! Die Liebe ist eine einzige von der Werbung aufgeblasene Geschichte. Nee, du. Ein Hund. Da macht man nichts verkehrt!«
Er schlug die Decke zur Seite.
»Da wir gerade über Hunde sprechen. Ich finde, es ist auffällig still dort drüben.«
Er zog sich an und überlegte kurz, wer von ihnen Brötchen und Zeitung holen gehen könnte. Vor allem die Zeitung war wichtig. Er musste doch auf dem Laufenden bleiben.
Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Weit und breit keine My und kein Kaj. Das Bett war ordentlich gemacht, was überhaupt nicht zu ihr passte.
»Vielleicht sind sie runtergegangen, Brötchen holen«, schlug Miriam vor, als sie neben ihm im Türrahmen auftauchte.
»Sie hat keine Öre«, sagte er, während sich eine Eiseskälte in ihm ausbreitete. »Sie ist einfach gegangen, glaube ich. So, wie sie es eben tut.«
Miriam umarmte ihn.
»Sie kommt aber wieder, oder? Sie würde doch nichts Unüberlegtes machen, so auf eigene Faust?«
Aber genau das war es, dachte er. Genau das hatte sie immer getan. My ließ sich nichts sagen, von niemandem.
KAPITEL 41
Axel Andreasen, der Fraktionsvorsitzende der Opposition in Århus, sah aus wie ein Pokerspieler, der soeben gegen seinen größten Widersacher verloren hatte.
»Ich habe das Einzige getan, was mir möglich war«, sagte Francesca. »Und die Meinungsumfragen bestätigen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.«
Die Tageszeitungen lagen vor ihnen auf dem Tisch verstreut: die Sonntagsausgabe der
NyhedsPosten
mit der exklusiven Skandalmeldung auf Seite eins sowie die von
Stiften,
deren Lokalreporter die Story seines Lebens schreiben durfte, ein Interview mit der Bürgermeisterkandidatin über ihr Verhältnis zu gekauftem Sex. Daneben lag ferner die Montagsausgabe von
Jyllands-Posten Århus,
in der die Wählerumfrage veröffentlicht worden war. 58 % der Wähler unterstützten sie nach wie vor und waren der Ansicht, die Presse sei zu weit gegangen und das Sexualleben eines Politikers habe den Bürger nicht zu interessieren. 25 % würden sie nicht wählen, während 17 % unentschieden waren.
»Trotzdem, Francesca«, seufzte der Fraktionsvorsitzende und schüttelte den Kopf. »Trotzdem.«
»Trotzdem was?«
Sie merkte, wie seine Abneigung und Bedenken ihr Kraft gaben. Sie hatten sich bei ihm zu Hause getroffen: ein einstöckiges, von einem Architekten entworfenes Einfamilienhaus in Højberg. Zu fünft saßen sie am Tisch: der Fraktionsvorsitzende, sie, der ehemalige Oppositionsführer Anders Fink, ihr Rivale Erik Balleby sowie die Ortsvorsitzende Eva Frandsen, die aus Christiansborg angereist gekommen war. Sie hatte den unmittelbaren Kontakt zum Staatsminister, der keinen Ärger mit der Fraktion aus Århus haben wollte. Eine Krisensitzung anlässlich der aktuellen Ereignisse.
Francesca sah sich die Mitglieder der Runde an. Was wussten die schon? Die meisten von ihnen gehörten einer anderen Generation oder einem anderen Geschlecht an, wo das öffentliche Interesse an ihren sexuellen Präferenzen von vornherein ausgeschlossen war. Man konnte ohne Probleme schwul sein – mit allen nur erdenklichen experimentellen Variationen – und gleichzeitig Vorsitzender einer Partei oder eines großen Konzerns werden. Da sprach nichts dagegen. Solange man ein Mann war, galten andere Regeln.
Nur Eva
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