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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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»Der war da mal Praktikant.«
    »Ich weiß, und in welcher
Abteilung ist er jetzt?«
    »In gar keiner. Wir haben ihn
nicht übernommen. Ich glaube, das Examen hat er noch mitgeschrieben, aber dann
ist er durch die Sprachprüfung gefallen.« Sie blinzelt ihn an und lächelt. »Ich
hab das mit seinem amerikanischen Vater immer für eine Lüge gehalten.«
    »Wieso das denn?«
    »Na, sein Englisch war einfach
grottenschlecht.«
    Sie kramt eine alte Adresse
von Jerome hervor und gibt sie ihm. Lloyd steigt in die Metro, fährt bis Chateau
Rouge und findet das Haus, einen heruntergekommenen Kasten mit viel Stuck und
einem kaputten Eingang. Er geht die Liste der Mieter in den Hinterhöfen durch,
sucht nach Jeromes Nachnamen, findet ihn nicht. Plötzlich sieht er etwas,
womit er nie gerechnet hätte, seinen eigenen Namen. Auf dem Klingelbrett steht
tatsächlich: »Jerome Burko«.
    Er drückt auf den Knopf, aber
niemand meldet sich. Mieter kommen und gehen. Er setzt sich in eine Ecke und
starrt hinauf zu den Fenstern mit den heruntergelassenen Rollläden.
    Eine Stunde später kommt
Jerome durch den Toreingang, sieht seinen Vater aber nicht gleich. Er geht zum
Briefkasten und blättert auf dem Weg zum Innenhof die Reklamesendungen durch.
    Lloyd ruft ihn, und Jerome
fährt zusammen: »Was machst du denn hier?«
    »Sorry«, sagt Lloyd, auf
wackeligen Beinen. »Entschuldige, dass ich hier so aufkreuze.« In dem Ton hat
er mit seinem Sohn noch nie geredet, so kleinlaut. »Bin einfach mal
vorbeigekommen - ist das okay?«
    »Wegen deines Artikels?«
    »Nein, nein. Hat nichts damit
zu tun.«
    »Was ist dann?«
    »Könnten wir vielleicht
hochgehen? Ich friere. Es ist schon eine Weile, dass ich hier draußen warte.«
Er lacht. »Ich bin nämlich schon alt! Auch wenn man's mir vielleicht nicht
ansieht.«
    »Du bist nicht alt.«
    »Doch, bin ich. Ich bin alt.«
Er streckt die Hand aus, lächelt ihn an. Jerome bleibt auf Abstand. »Ich denke
in letzter Zeit viel über meine Familie nach.«
    »Welche Familie?«
    »Kann ich mit reinkommen,
Jerome? Wenn's dir nichts ausmacht. Ich hab eiskalte Hände.« Er reibt sie,
haucht hinein. »Mir ist eine Idee gekommen. Ich hoffe, du nimmst die mir nicht
übel. Ich denke, ich könnte dir - aber nur, wenn du willst - ein bisschen mit
dem Englischen helfen. Wenn wir regelmäßig üben, hast du's schnell drauf, garantier
ich dir.«
    Jerome wird rot. »Was soll das
heißen? Mein Englisch ist prima. Ich hab's ja von dir.«
    »Du hattest aber kaum Chancen,
es zu hören.«
    »Ich brauch keine Nachhilfe.
Und außerdem, wann denn? Das Ministerium würde mir dafür nie Urlaub geben.«
    Als Gegenbeweis schaltet Lloyd
auf Englisch um und spricht absichtlich rasend schnell. »Ich würde dir gerne
sagen, dass ich Bescheid weiß, mein Sohn. Aber ich will nicht, dass du dich wie
ein Versager fühlst. Was machst du bloß in diesem Loch hier? Mein Gott, es ist
unglaublich, wie ähnlich du meinem Vater siehst. Wie komisch, ihn wiederzusehen.
Ich weiß sehr wohl, dass du gar nicht arbeitest. Da hab ich vier Kinder in die
Welt gesetzt, aber du bist der Einzige, der noch mit mir redet.«
    Jerome hat kein Wort
verstanden. Gedemütigt und mit bebender Stimme antwortet er auf Französisch:
»Woher soll ich wissen, was du da erzählst? Du redest viel zu schnell. Das ist
doch alles albern.«
    Lloyd wechselt zurück ins
Französische. »Ich wollte dir etwas sagen. Dich etwas fragen. Weißt du, ich
überlege, ob ich mich nicht zur Ruhe setzen soll«, sagt er. »Ich habe bestimmt,
na, einen Artikel pro Tag geschrieben, seit ich zweiundzwanzig bin. Aber jetzt
fällt mir partout nichts Neues mehr ein. Nicht eine Idee. Ich hab keine Ahnung
mehr, was zum Teufel irgendwo los ist. Die Zeitung will auch nichts mehr von
mir. Das war mein letzter - allerletzter Strohhalm. Hast du das gewusst? Mein
Zeug druckt kein Mensch mehr. Ich glaube, ich ziehe aus meiner Wohnung aus,
Jerome. Ich kann sie nicht mehr bezahlen. Ich gehöre da auch nicht mehr hin.
Aber ich weiß es noch nicht. Es steht noch nichts fest. Ich wollte nur fragen,
glaub ich - ich versuche rauszukriegen, was, also was ich machen soll. Was
meinst du? Wie siehst du die ganze Sache?« Er ringt sich die Frage buchstäblich
ab: »Wozu würdest du mir raten, mein Sohn?«
    Jerome schließt die Tür zum
Hinterhaus auf. »Komm rein«, sagt er. »Du wohnst jetzt bei mir.«
     
    1953 - Caffe Greco, Rom
     
    Betty schüttelte ihr
Highball-Glas und suchte mit tiefem Blick nach den letzten

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