Rachmann, Tom
die Böden, die noch
gefegt, all die Oberflächen, die noch abgewischt werden müssen. Und der Staub
unter den Betten?
Als Marta
mit der Arbeit fertig ist, bringt Ornella sie zur Tür. »Bis morgen dann?«
»Ja,
okay«, sagt Marta, den Kopf gesenkt, »morgen.«
1994- Corso Vittorio, Rom
Anfang der neunziger Jahre
begann der Erfolg der Zeitung unter Milton Berber abzuflauen - wie die gesamte
Branche hatte auch diese Zeitung mit einem Rückgang der Leserschaft zu kämpfen.
Erst hatte das Fernsehen den Zeitungen jahrelang das Wasser abgegraben, dann
hatten ihnen die Nachrichtenkanäle, die vierundzwanzig Stunden am Tag
sendeten, den nächsten Schlag versetzt. Morgenblätter, die am Nachmittag davor
gemacht wurden, waren nicht mehr aktuell genug. Die Auflage der Zeitung fiel
unter 25.000 zurück.
Noch größeren Grund zur
Besorgnis gab Milton selbst. Intellektuell war er auf der Höhe wie eh und je,
aber sein Körper machte nicht mehr richtig mit: Er hatte Diabetes, Bluthochdruck,
seine Augen wurden immer schlechter, sein Gehör ebenfalls. 1994 trommelte er
die Mitarbeiter zusammen.
»Warum gibt es diese
Zeitung?«, fing er an.
Ein paar der Reporter
lächelten nervös. Jemand flüsterte einen Spruch.
»Im Ernst«, fuhr Milton fort,
»das habe ich mich oft gefragt. Warum hat Cyrus Ott den ganzen weiten Weg
gemacht und das alles hier gegründet? Warum interessiert sich ein so reicher,
mächtiger Mann für so was? Es heißt da immer, dass Ott eine echte Leidenschaft
für Nachrichten hatte und dass er überzeugt war, die Welt brauche ein solides
Organ dafür. Aber die Story kaufe ich ihm nicht ab. Ich bin Journalist - ich
hob schon vom Temperament her was gegen edle Motive. In Wahrheit kam der Mann
hierher wegen der Pizza.«
Alle lachten.
»Was mich betrifft«, erzählte
Milton weiter, »ich kann keine edlen Beweggründe vortäuschen - ich bin mit Herz
und Seele Zeitungsmensch. Headlines und Deadlines. Nichts Edles. Trotzdem,
Leute«, schloss er, »ist für mich hier jetzt Zeilenende. Zeit, abzutreten.«
Ein paar Redakteure schnappten
nach Luft.
Milton grinste. »Jetzt tut
bloß nicht so überrascht. Dieser Newsroom hier ist eine Gerüchteküche. Ihr
wollt mir doch nicht erzählen, dass meine Entscheidung euch Pappnasen nicht
schon längst zu Ohren gekommen ist.«
Danach versagte ihm die Stimme.
Der ganze Raum wartete schweigend auf seine nächsten Worte. Aber Milton griff
sich nur hastig ein Exemplar der aktuellen Ausgabe, riss es hoch und rannte in
sein Eckbüro. Es war sein letzter Tag in der Zeitung. Drei Monate später erlag
er in Washington einem schweren Schlaganfall.
Milton zu ersetzen war nicht
leicht. Boyd schob eine Reihe mittelprächtiger Manager auf den Posten, die alle
nur ein paar Jahre überdauerten und sich dann auf einem Polster aus Ott-Aktien
zur Ruhe setzten. Den Auflagenschwund hielt das nicht auf. Die Redaktion wurde
durch Abgänge ausgedünnt, die Modeseite komplett dichtgemacht, den Ressorts
Kultur und Sport fehlte jeder Schwung.
Die Zeitung erschien noch
immer mit täglich zwölf Seiten, aber die Zahl der Originalbeiträge ging steil
nach unten, die der Agenturmeldungen schoss nach oben. Andere Blätter bekämpften
den feindlichen Einbruch des Nachrichtenfernsehens mit Vierfarbdruck und
protzigen Grafiken, die Zeitung blieb stur schwarz-weiß.
Die nächste Herausforderung
sollte sich als noch schwieriger erweisen: das Internet.
Anfangs machten viele Blätter
ihre eigenen Websites auf und ließen sich den Zugang bezahlen. Daraufhin
wechselten die Leser einfach zu Free-Content-Angeboten. Und so stellten die
Pressekonzerne immer mehr Inhalt umsonst online, in der Hoffnung, irgendwann
würde die Internetwerbung die niederschmetternden Verluste bei den gedruckten
Ausgaben ausgleichen.
Die Zeitung reagierte auf ihre
eigene, charakteristische Weise: Sie tat gar nichts. Herman Cohen, der Redakteur
für Korrekturen aller Art, würgte jedes Gespräch über eine Website mit dem
Spruch ab: »Das Internet hat mit Nachrichten so viel zu tun wie Autohupen mit
Musik.«
K urseinbrüche: B örse fürchtet
vermindertes wachstum in china
Abbey
Pinnola, Finanzchefin
In der Wartezone vor dem Flugsteig fällt Abbey in
ihr traditionelles Reisekoma, eine Trägheit, die sich auf langen Flügen in
ihrem Kopf ausbreitet wie Zuckerlösung in einem Einmachglas. In diesem Zustand
knabbert sie jeden erreichbaren Snack weg, starrt gebannt auf die Schuhe
fremder Leute,
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