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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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habe. Und er würgte mich an
diesem Nachmittag des 24. April 1994. Ich weiß
noch genau, dass ich dachte, jetzt sterbe ich. Er hat so lange zugedrückt, bis
ich ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam, war er nicht zu sehen. Meine
Kehle fühlte sich an wie zusammengedrückt. Ich erfrischte mein Gesicht mit
Wasser und versuchte über der Küchenspüle zu weinen. Aber ich bekam nicht
richtig Luft. Es kam nur ein komisches Schluchzen heraus, und ich musste viel
schlucken und husten. Dann stand er plötzlich da und lachte mich aus. Ich hatte
mich am Küchenschrankgriff festgehalten, um nicht umzukippen. Er kam mit
seinem Gesicht ganz nah an meines heran, und da schlug ich ihm die Schranktür
an den Kopf, so fest ich konnte. Die Tür erzitterte von dem Aufprall, mir
kribbelte die Hand, und er ging zu Boden. Er konnte den Sturz mit den Händen
kaum abfangen und schlug mit dem Gesicht auf dem Boden auf. An seiner Wange
platzte die Haut auf, es blutete. Das Blut tropfte auf den Boden. Ich sehe ihn
noch vor mir, wie er seinen Finger in die Lache tunkt.«
    »Mein Gott, das ist ja eine
Horrorgeschichte«, wirft Kathleen ein. »Ich hatte ja keine Ahnung von alldem.
Ich weiß nur noch, dass Cosimo dann in die Psychiatrie kam.
    Dario
erzählte immer, das sei wegen Depressionen gewesen.«
    »Nun,
Depressionen gab's auch. Aber die kamen später.« Sie lässt Kathleens Ärmel
los, ihr Bedürfnis, sich anzuvertrauen, scheint mit einem Mal erloschen, und an
seine Stelle tritt jähes Schuldgefühl. »Erzählen Sie Dario nichts davon«, sagt
sie. »Sagen Sie ihm nichts, falls Sie ihn sehen. Er weiß nichts von diesen
Einzelheiten.«
    Sie gehen
wieder in Richtung Redaktion.
    »Jetzt
fällt mir ein«, sagt Kathleen, »an jenem Abend war Blut auf dem Fußboden in
Ihrer Küche. Dario und ich waren hingefahren, als Sie Cosimo ins Krankenhaus
gebracht hatten. Wir haben Ihr Hausmädchen reingelassen. Wie hieß die noch?
Rina? Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Sie wollte kein Blut am
Schrubber haben - sie dachte, dass Sie dann schimpfen. Ich hab's dann selbst
aufgewischt, mit einer Ausgabe unserer Zeitung.«
    »Ich
weiß«, sagt Ornella. »Genau diese Ausgabe fehlt mir. Und ich brauche unbedingt
eine neue von Ihnen.«
    »Eine
Ausgabe von 1994? Ich weiß gar nicht, wo die noch zu finden wäre. Wir haben unser
gesamtes Papierarchiv schon Vorjahren weggeschmissen. Das ist jetzt alles digitalisiert.«
    »Das kann
nicht Ihr Ernst sein.«
    Die beiden
Frauen gehen schweigend weiter.
    Vor dem
Gebäude fragt Kathleen: »Wissen Sie noch, worüber wir uns unterhalten haben,
abends im Krankenhaus? Als ich sagte, ich überlegte, nach Washington zu gehen,
sei aber noch unentschlossen? Sie sagten, ich solle gehen. Ich solle weg aus
Rom und weg von Dario und den Job nehmen.«
    »Das habe
ich nie gesagt.«
    »Doch«,
sagt Kathleen, »das haben Sie.«
     
    Dienstagmorgen
klopft Marta vier Mal und wartet. Sie hat einen Schlüssel, also macht sie sich
selbst auf. Ornella erscheint im Nachthemd.
    »Oh,
Entschuldigung«, sagt Marta und senkt den Kopf.
    »Du hast
mich Sonntag in eine schreckliche Situation gebracht, ohne meine Zeitung«,
schnauzt sie sie an. »Absolut unverzeihlich!« Eigentlich will sie das
zurücknehmen. Stattdessen verschwindet sie wieder im Schlafzimmer.
    Sie zieht
sich an, geht ins Wohnzimmer und fängt an, Fotos hin und her zu schieben, als
wäre der Ausbruch eben nicht passiert. »Auf dem Platz hier«, erklärt sie Marta,
»kann ich Massi sehen, wenn ich mal von der Zeitung aufsehe. Und von da drüben
kann ich Cosimo sehen. Oder soll ich hier Dario hinstellen? Man soll Bilder ja
immer mal umstellen, sonst nimmt man sie nicht mehr wahr.«
    Marta fegt
Schmutz aufs Kehrblech und nickt höflich.
    Ohne ein
weiteres Wort zieht Ornella sich ins Schlafzimmer zurück.
    »Wollen Sie
Zeitung heute, Signora Ornella?«
    »Nein«,
antwortet sie durch die geschlossene Tür. »Danke.«
    Sie kommt
erst heraus, als sie die Wohnungstür zugehen hört. Marta hat einen Zettel
hinterlassen, sie brauche ein bestimmtes Putzmittel und neue Küchentücher. »Wie
um Himmels willen«, sagt Ornella laut, »kriegt dieses Mädchen so viele
Küchentücher weg?« Sie macht sich an die Staubprüfung. Als sie sich bückt und
unterm Sofa herumschnüffelt, fällt ein Tropfen auf den Holzboden. Sie fasst
sich ins Gesicht. Es ist eine Träne. Nach einem energischen Schniefer hat sie
sich wieder im Griff. Reibt den Boden mit der bloßen Hand trocken, tupft sich
die Augen

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