Rachmann, Tom
Buch aufgeklappt auf die gemeinsame
Armlehne. »Soll ich kurz erklären, worum's gerade geht?«
»Nein,
nein, ist schon gut, bestimmt. Ich muss wirklich noch was arbeiten.«
»Sehen
Sie, deswegen bin ich gefeuert worden«, lacht er, »alle Welt arbeitet, und ich
lese die verdammte Jane Austen.«
Gefeuert?
Das hat er vorhin noch anders ausgedrückt. »Ich sehe, Sie nehmen das nicht
allzu tragisch.«
»Mit einem
neuen Job ist es leichter.«
»Haben Sie
einen? Ach, das freut mich zu hören.«
»Danke.
Ja, einen Tag, nachdem ich rausgeflogen war, hab ich mit einem italienischen
Kumpel geredet, und der hat mir von der Stelle da erzählt. Hab Schwein gehabt.«
Wie alt
mochte Dave Belling wohl sein? Ungefähr so alt wie sie? Einen Tick älter?
»Heh,
gucken Sie mal«, sagt er, »Mittagessen Nummer eins kommt den Gang entlang.«
»Mittagessen
Nummer eins?«
»Ja, auf
diesem Flug gibt's zweimal Mittagessen, wegen des Zeitunterschieds.«
»Oh,
hurra.«
»Im
Ernst.«
Sie essen
Plastikhähnchen und Gummikarotten und etwas Süßes in Pinkrosa und machen
sarkastische Kommentare dazu wie alle Leute, die den öden Flugzeugfraß
vorgesetzt kriegen und ihn trotzdem bis zum letzten Krümel aufessen.
»Und wieso
fliegen Sie nach Atlanta?«, fragt sie.
»Will meine Leute noch mal
besuchen, bevor ich den neuen Job anfange.«
»Dann sind Sie aus der Gegend?«
»Aus Georgia, ja. Aus Ocilla, ist
'ne Kleinstadt.«
»Nett da?«
»Ganz okay. Könnte da nicht mehr
leben. Bin da aufgewachsen, das reicht fürs Leben. Und Sie? Wo sind Sie her?«
»Ursprünglich aus Rochester, New
York.«
»Also auch >ursprünglich<
irgendwo anders her. Nach dem Ursprung gab's dann 'ne ganze Menge Zwischenschritte.«
»So viele
nicht. Ich war in Binghampton auf dem College, dann ein Jahr Ausland in
Mailand, da habe ich auch meinen Mann kennengelernt. Nicht meinen jetzigen.
Meinen Ex. War er damals natürlich noch nicht. Ich weiß immer nicht, wie ich
das sagen soll.«
»Wenn ich
mal meine Textbearbeiter-Kompetenz anbieten darf: Ihr damaliger Prá-Gatte und
zukünftiger Post-Gatte im Status des Prá-Ex-Gatten.«
Sie lacht.
»So würden Sie das für die Zeitung umschreiben?«
»Jetzt wissen Sie, warum die mich
gefeuert haben.«
Sie
lächelt. »Ach so, na dann, ja, ich habe jedenfalls meinen Was-auch-immer-Mann
in Mailand kennengelernt. Er kommt von da. Er war meine erste bedeutende
Romanze, und ich war -«, sie hält inne.
»Sie waren was?«
»Ich weiß
nicht. Naiv. Dreiundzwanzig.«
»Da können
Sie aber nicht meckern - immerhin haben Sie jetzt drei Kinder.«
»Das
stimmt. Das sage ich mir auch immer.«
»Ich hab
keine«, sagt er. »Ich wollte immer welche. Aber meine Frau - meine damalige -
wollte nicht. Ich hab mir den Mund fusselig geredet, sie wollte kein Kind. Aber
jetzt kommt's: Wir haben uns scheiden lassen, ich glaub das war 1996, und sie
lernt irgendeinen Typen kennen, und hast-du-nicht-gesehen haben sie vier
Kinder! Wahrscheinlich war's nicht so, dass sie keine Kinder wollte. Sie wollte
bloß keine mit mir!«
Abbey sagt
nichts.
»Wie?«
»Nichts,
nein. Nichts. Ich dachte nur gerade - klingt, als ob Sie das ganz gut genommen
hätten. So überhaupt nicht nach Selbstmitleid. Finde ich sehr bewundernswert.«
Er lächelt
verlegen. »Naja, nicht ganz.«
»Doch, im
Ernst.«
Er
knibbelt wieder an seinem Nagelbett herum. »Sie sehen das mit Ihrer Scheidung
bestimmt genauso.«
»Das
können Sie nur sagen, weil Sie mich noch nie gehört haben, wenn ich über
meinen armen Ex herziehe! Nicht, dass der in irgendeinem Sinn arm wäre. Im
Gegenteil, ein reicher Wichser ist das. Entschuldigen Sie meine Wortwahl.«
»Wieso
Wichser?«
Sie reißt
den Kopf herum, als hätte sich gerade eine Biene daraufgestürzt. »Ist er eben.
Keine Ahnung. Wir hatten eine leidenschaftliche Liebesaffäre - dachte ich. Inzwischen
habe ich den Verdacht, der wollte bloß sein Englisch verbessern.«
»Nee.«
»Ohne
Witz. Er ist furchtbar anglophil. Er hat darauf bestanden, dass unsere Kinder
so traditionell britische Namen kriegen oder Namen, die er für traditionell
hielt.«
»Zum
Beispiel?«
»Henry,
Edith und Hilda.«
»Klingt
wirklich nach viktorianischem England.«
Sie
schlägt die Hände vors Gesicht. »Ja eben, genau. Mir ist das so peinlich. Er
hat mich dazu gezwungen! Ich schwör's. Ich war jung und naiv. Und vergessen Sie
nicht, für Italiener sind das unaussprechliche Namen. Also, selbst die
Großeltern in Mailand - wirklich liebe Leute, muss
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