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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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ich sagen - können die Namen
ihrer Enkelkinder nicht richtig aussprechen. Das ist doch lächerlich.«
    »Und wo
ist Ihr Exmann jetzt?«
    »In
London. Er war so verliebt in die Stadt, dass er da hingezogen ist. Angeblich
um eine Wohnung zu suchen, die groß genug für uns alle ist. Ich hatte sogar
schon gekündigt - ich war damals Assistentin im Rechnungswesen, das war vor
meinem Master in Betriebswirtschaft. Und dann schickt er mir einen Brief, er
habe >nervliche Probleme<, was immer das sein sollte. Das Ende zog sich
hin und hat Nerven gekostet. Hat mir nie explizit von seiner Freundin erzählt.
Aber da lebt er jetzt. In London. Mit ihr.«
    »Vermutlich
ein echtes englisches Mädel.«
    »Von
wegen, ich hab mich krankgelacht, die kommt aus Neapel.«
    »Tja«,
Dave lacht, »Satz mit X, war wohl nix.«
    Sie
lächelt über seinen komischen Ausdruck. »Genau so hab ich es empfunden. Egal.
Wie alt sind Sie, Dave, wenn ich fragen darf?«
    »Fünfundvierzig.
Und Sie?«
    »Vierzig.
Gerade vierzig geworden.«
    »Im
Ernst?«, sagt er. »Ich hatte Sie für älter gehalten.«
    »Na prima,
vielen Dank.«
    »Nein,
nein. So meinte ich das nicht. Ich meinte, dass Sie in Ihrem Alter schon einen
so wichtigen Job haben. Und drei Kinder und so weiter. Da schäme ich mich ja
richtig.«
    Das
Gespräch kommt ins Stocken. Sie sitzt so, dass sie ihm in die Augen sieht, und
kann sich nicht unauffällig wegdrehen.
    »Sollen
wir ein bisschen weiterlesen?«, schlägt er vor und klappt das Buch da auf, wo
sie waren.
    »Nett von
Ihnen, lesen Sie weiter. Ich muss jetzt wirklich ein bisschen arbeiten.«
    Ab und zu
sieht sie hoch und ihn an. Dann lächeln sie sich zu, und er schwenkt das Buch.
»Nicht zu verführen?«
    Nach einer
Runde Arbeit dreht sie sich zu ihm, will einen Witz machen. Aber er schläft mit
dem Buch auf der Brust. Jane Austen, überlegt sie, welcher Mann liest denn Jane
Austen? Er ist doch nicht schwul, oder? Macht keinen schwulen Eindruck. Sie
hatte noch nicht viel mit Südstaatlern zu tun. Dieser näselnde Sound, diese
unaufdringliche Bescheidenheit - irgendwie exotisch. So ganz nah an der Natur.
    Und wenn
er jetzt aufwacht und sie beim Anstarren ertappt? Sie mustert ihn lieber aus
dem Augenwinkel weiter. Er ist nicht besonders groß, obwohl das im Sitzen nicht
genau zu erkennen ist. Sweatshirt, Jeans, Trekkingstiefel. Lässiger
Outdoor-Look. Die Hand auf dem Buch ist klein, aber kantig und stark,
Fingernägel abgekaut, Nagelhaut ungepflegt. In dem Mann steckt mehr. Die
Scheidung muss dem noch wehtun. Aber er ist sehr diskret - nicht der Typ, der
einem gleich seine ganze Lebensgeschichte vor die Füße kotzt.
    Er bewegt
sich im Schlaf, sein Arm rutscht auf die Lehne zwischen ihnen und stößt an
ihren Ellbogen. Sie hält still, beschließt, die Berührung zuzulassen, fängt
wieder an zu atmen.
    Eine
Stunde später gähnt er und blinzelt sich zurück ins Wachsein. »Entschuldigung.«
    »Wofür
denn?«, flüstert sie.
    »Bin wohl
'n Minütchen eingeschlafen«, antwortet er sanft. »Heh, wieso flüstern wir
eigentlich?«
    »Vielleicht,
weil das Kabinenlicht aus ist.« Sie deutet in Richtung Toiletten. »Sorry, ich
müsste da mal kurz hin.«
    »Oh Mann«,
er schnallt den Sitzgurt auf und springt auf die Füße, »haben Sie meinetwegen
in der Falle gesessen?«
    »Überhaupt
nicht. Überhaupt nicht.« Sie zieht den Bauch ein und quetscht sich durch auf
den Gang, holt die Handtasche aus der Gepäckablage und geht zur Toilette. Sie
schließt sich ein und begutachtet sich in dem wenig schmeichelhaften Licht.
»Ich sehe echt scheiße aus.« Sie holt einen Deoroller aus der Handtasche und
rollt ihn unter den Achseln herum. Sie packt Erfrischungstücher aus, wischt
Gesicht und Hände ab, tupft sich Tönungscreme ins Gesicht, um die scheckigen
Stellen zu überdecken, dann noch ein Strichelchen Eyeliner, Lippenstift. Nein,
lieber nicht. Sie küsst ihn wieder ab in ein Papiertuch, prüft ein letztes Mal
das zerkratzte Metallspiegelbild, schnipst eine Wimper von der Wange. Dann
rückt sie den bohrenden BH-Bügel zurecht, guckt sich in die Bluse: der
ausgeleierte schwarze BH. Wirft einen Blick in die Hose: der blaue
Oma-Schlüpfer. Tolle Kombination: oben Beerdigungsspitze und unten
Fallschirmseide. Sei nicht albern - sieht doch keiner. Noch ein Erfrischungstuch.
Fertig.
    Vor der
Sitzreihe bleibt sie stehen. »Heh.«
    Er springt
wieder hoch. »Selber heh.«
    Sie holt
Luft und schlüpft zurück auf ihren Platz.
    »Haben Sie
da

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