Rachmann, Tom
ich nicht.«
»Ich finde nur, man muss
Prinzipien haben.«
»Danke.«
»So hab ich das nicht
gemeint.«
»Was soll ich denn machen?«, fragt Hardy. »Wutschnauben?
Zornesausbrüche haben mir im Leben bisher noch nie was gebracht.«
»Bist du verliebt in den
Typen?«
»Hör zu, ich habe mir circa
1998 abgewöhnt, auf dieses ganz bestimmte Gefühl zu warten. Heutzutage genügt
mir vollauf, dass einer ohne meine Schöpfkelle an mein oberstes Regalfach
kommt.«
»Aber ausgerechnet der Typ?«
»Annika, du musst einfach
begreifen, ich habe mich weitgehend abgefunden mit meinem Dasein als alte Jungfer
seit, was weiß ich, seit wann, schätzungsweise mein ganzes Leben lang. Und dass
ich mich mittlerweile prima damit abgefunden habe, heißt noch lange nicht,
dass ich mich auch prima dabei fühle. Du hast Menzies. Und ich? Mir graut's vor
jedem Wochenende. Ganz schön deprimierend, kann ich dir sagen. Ich hätte am
liebsten nie Urlaub - ich habe nämlich keine Ahnung, was ich damit machen soll.
Urlaub bedeutet für mich, vier Wochen lang ständig drauf gestoßen zu werden,
was für ein Versager ich bin. Ich habe niemanden, mit dem ich irgendwohin
fahren könnte. Guck mich doch an: Ich bin so gut wie vierzig und sehe immer
noch aus wie Pippi Langstrumpf.«
»Hör auf damit.«
»Willst du mir erzählen, ich
soll ihn in die Wüste schicken? Auf die wahre Liebe warten? Und wenn die nicht
kommt? Auf Freunde kann ich mich auch nicht verlassen. Ihr habt alle was
anderes um die Ohren - Ehemänner, Familien. Dabei ist dein Mann nun auch nicht
gerade der Typ, der die ganze Welt entflammt.«
»Menzies ist Menzies.
Zumindest hat er ein kluges Köpfchen.«
»Von Intelligenz wird mir
nachts auch nicht wärmer.«
»Dieser Typ nutzt dich aus.«
»Mich nutzt niemand aus. Nicht
ohne mein Ja.« Damit endet die Tradition ihrer nachmittäglichen Kaffeepause.
Aber Hardy fällt das kaum auf - sie ist zu beschäftigt. Rory zieht bei ihr ein.
Als der Tag kommt, kommen auch
seine italienischen Hippie-Freunde zum Kistenschleppen. Hardy hat versprochen,
ihnen im Tausch für die Ackerei etwas Herzhaftes zu kochen, und so wird aus
dem Ein- und Ausladen eine fröhliche Angelegenheit mit billigem Rotwein. Zum
Glück besitzt Rory nichts Wertvolles, und seine paar Habseligkeiten überleben
den Umzug trotz des zunehmend berauschten Zustands der Helfer. »War's das?«,
fragt sie.
»Ich glaube, ja.« Er
tätschelte ihr den Kopf.
»Wofür ist das denn?« Sie
zieht ihn an den Schultern auf ihre Höhe und küsst ihn, sie drückt ihn, so fest
sie kann, dann löst sie sich, legt ihm kurz die Hände aufs Gesicht und lässt
los. »Ich gehe jetzt in deine Hütte und mache die besenrein.«
»Ist nicht nötig«, sagt er.
»Weiß ich, ist aber höflich.«
Die Abendluft ist kühl und
Trastevere im Dämmerlicht ungewöhnlich still. Hardy seufzt stillvergnügt und
schließt Rorys alte Wohnung auf. Ein Schweinestall. Sie schüttelt nachsichtig
den Kopf.
Sie spült den mit Barthaaren
verstopften Ausguss frei und findet eine kaputte Rasierklinge und ein Stück
Zahnseide. Überall liegen aufgeklappte alte Pizzakartons herum. Sie fegt und
lüftet den Wandschrank mit den klingelnden Metallkleiderbügeln aus.
Dann fällt ihr Blick auf
etwas: Zwischen dem Müll in der Ecke liegt der alte Zauberwürfel, den die
Einbrecher bei ihr gestohlen hatten.
Fast eine Minute lang steht
sie reglos da.
Unter dem Würfel liegen auch
ein paar von ihren CDs, die nicht auf der Liste gestanden hatten, und ein paar
verschollene Ringe - Rory hatte also wohl doch zugegriffen, als er vor ihr auf
der Polizeiwache gewesen war. Auf jeder Fläche des Würfels steht ein Buchstabe
in der Handschrift ihres Vaters. Sie hatte den Würfel von ihrem Vater zum
vierzehnten Geburtstag geschenkt bekommen, er hatte seinen Glückwunsch mit
Filzstift auf die kleinen, bunten Vierecke geschrieben und sie dann so
verdreht, dass sie sie erst in die Ausgangsstellung zurückdrehen musste, um die Botschaft auch lesen zu können. Jetzt ist der Würfel wieder verdreht
und zeigt nur sinnlose Kombinationen: RYH und HEE und AYR. Mechanisch dreht sie
ihn wieder richtig, und da steht er wieder, der Glückwunsch, waagerecht jeweils
über alle vier Seiten zu lesen:
AVE RYH APP Y14
FOR DEA RHA
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