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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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RDY
    ALL                      MYL                OVE                DAD
     
    A
VERY HAPPY 14 FOR DEAR HARDY ALL MY LOVE DAD. Bis zum
heutigen Tag ist ihr Vater in Boston der einzige Mensch, von dem Hardy sicher
weiß, dass er sie für wertvoll hält. Bei allen anderen muss sie immer die
Intelligente spielen und die ausgezeichnete Köchin abgeben. Allein ihr Vater
empfindet bedingungslose Zuneigung für sie. Trotzdem ist sie seit Jahren nicht
nach Hause gefahren, sie hält es einfach nicht mehr aus in seiner Gegenwart.
Wann immer sie sich sehen, fragt sein Gesichtsausdruck unbeirrbar: Wie kann
das sein, dass du immer noch allein bist?
     
    Als sie
wieder in ihre Wohnung kommt, ergehen sich Rory und seine Freunde in Debatten
darüber, welches der beste Geheimdienst ist, das MI6, die CIA oder der Mossad.
Sie geht in die Küche, die Manteltasche beult sich von ihrem Spielzeug. Sie
legt den Mantel über einen Stuhl und kocht das Essen zu Ende.
    Die Männer
bechern kräftig weiter und schlingen sofort alles weg, was Hardy auftischt, sie
schaufeln sogar weiter, während sie hecheln, weil sie sich den Mund verbrannt
haben. Hardy isst nicht mit, sondern klappert mit schmut zigen Töpfen in der Küche
herum und reißt Schranktüren auf, nur um irgendwo hingucken zu können. Muss sie
ihm sagen, was sie gefunden hat?
    »Roiy«, ruft sie, »ich bin
blöd - ich hab bei dir was liegen lassen.«
    In seiner früheren Wohnung
fährt sie im Dunkeln mit den Fingernägeln unter die bunten Folien auf den
Würfelvierecken. Zieht sie ab, eine nach der anderen. Jetzt ist der Würfel
glatt und nur noch schwarz. Dann langt sie tief in Rorys Wandschrank und lässt
ihn fallen. Er scheppert auf die CDs und die Ringe, die Rory auch gestohlen
hat.
    Als sie wieder zu sich nach
Hause kommt, führen die Männer eine inzwischen weinselige Guantánamo-Debatte.
Schwanken vornüber, wenn sie was sagen wollen, schwanken zurück, wenn sie zuhören.
Hardy fragt, ob noch irgendjemand irgendwas braucht, und verzieht sich in die
Küche. Sie wäscht sich die Hände, reißt von der Papierrolle ein Küchentuch ab,
trocknet sich die Hände. Eigentlich müsste sie da jetzt reingehen und Rory zur
Rede stellen.
    »Hardy!«, zwitschert der.
»Hardy, wo bist du denn?«
    »Komme gleich.«
    Ihr Blick fällt auf den
silbernen Wasserkessel, sie betrachtet eingehend ihr Spiegelbild, diesmal
zuckt sie nicht zurück. Sie klemmt die Karottenhaare hinter die Ohren und
schnappt sich eine neue Flasche Valpolicella.
    Sie setzt sich zu ihm auf die
Lehne und sieht zu, wie er mit dem Korken kämpft.
    »Pop«, sagt er endlich und
schenkt sich selbst den ersten Schluck ein.
    »Pop«, sagt sie und drückt ihm
einen Kuss auf die Schulter. Gibt keinen Grund, irgendetwas zu sagen.
     
    1957 - Corso Vittorio, Rom
     
    Die Zeitung wuchs auf zwölf
tägliche Seiten an, sie bekam ein eigenes Kulturressort, die Rubrik Rätsel-Brezel und die Nachrufe. Die Auflage durchbrach die
Schallmauer von 1ooo, wovon das meiste in Europa abgesetzt wurde und eine
Miniauflage in Nordafrika und dem Fernen Osten. Allen Unkenrufen zum Trotz war
Ott immer noch da und schmiss den Laden.
    Er lebte sein Leben ganz
allein oben auf dem Aventin, in einer Villa aus dem 16. Jahrhundert, die er
einer verarmten Adelsfamilie abgekauft hatte. Der dreistöckige steinerne Bau
mit dem orangerotbraunen Anstrich und den langen gelben Rollläden hatte die
Anmutung eines bewohnbaren Marzipanbrots. Das ganze Anwesen war mit einem spießbewehrten
Eisenzaun eingefriedet, das Haus-, Küchen- und Gelegenheitspersonal musste
durch ein quietschendes Tor hinein und hinaus. Die Decken im Innern schmückten
Fresken mit hochromantischen Darstellungen - pausbäckige Cherubim und dralle
Liebespaare, die sich an Wasserfällen verlustieren. Ott mochte sie nicht und
war öfter kurz davor, sie übermalen zu lassen.
    Aber er sah ohnehin nur selten
nach oben, sein Blick blieb in Wandhöhe, und die Wände hingen voller Bilder. Er
behauptete, vor allem finanzielles Interesse an Bildern zu haben - Europa sei
nach dem Krieg zum Schnäppchengebiet geworden, erzählte er. Betty dagegen
liebte Kunst über alles. Sie hatte in den Jahren in Rom eine Leidenschaft für
Gemälde entwickelt und trieb sich in Renaissancekirchen herum, nur um da im
Dämmerlicht Meisterwerke zu bestaunen, oder sie machte regen Gebrauch von ihrem
Presseausweis, um sich in Vernissagen zu schleichen. Also hatte Ott sie zu
seiner

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