Rachmann, Tom
der höflichen Bitte, das
Überleben der Zeitung zu sichern. Wieder kam von Charles - dem neuen
Vorstandsvorsitzenden des Ott-Konzerns - keine Antwort. Allerdings auch kein Finanzierungsstopp.
Sechs angsterfüllte Monate
vergingen, bevor Charles einen Besuch ankündigte. Als er dann da war,
schüttelte er Leo kühl die Hand und ignorierte Betty komplett. Er verlangte nur
eins - künftig und für alle Zeit solle über dem Titelkopf eine Zeile in
Fettdruck stehen: »Gegründet von Cyrus Ott (1899-1960).« Betty und Leo waren
von Herzen einverstanden.
»Dieses ganze Unternehmen war
meinem jüngeren Bruder sehr, sehr wichtig«, sagte Charles. »Es jetzt
dichtzumachen, davon bin ich überzeugt, würde sein Andenken beschmutzen.«
»Da stimme ich voll zu«, sagte
Leo.
»Wie hoch ist eigentlich die
verkaufte Auflage?«
»Um die 15 000 an guten
Tagen.«
»Nun, ich möchte, dass das
mehr wird. Ich möchte, dass der Name meines Bruders so vielen Leuten wie
möglich ins Auge springt. Das mag im Konzernmaßstab ein Klacks sein, aber mir
und meiner Familie bedeutet es viel.«
»Wir haben ihn alle sehr gern
gehabt«, sagte Betty.
Aus irgendeinem Grund war
Charles darüber verärgert. Er beendete die Unterhaltung und ging in den
Newsroom, um sich auch an die Redakteure zu wenden.
»Diese Zeitung Tag für Tag
rauszubringen, das ist Ihre Sache«, erklärte er, »aber dass sie rauskommen kann
- das ist meine Sache. Nach meiner Auffassung ist das ganze Unternehmen ein
stetes Andenken an meinen Bruder, und von meiner Seite aus ist diese Stetigkeit
garantiert.«
Die gesamte Redaktion brach,
sobald er ausgeredet hatte, in Beifall aus.
Irak: G eneral A bizaid optimistisch
Kathleen
Solson, Chefredakteurin
ALS SIE ENTDECKT, DASS NIGEL EINE AFFÄRE
HAT, verspürt
sie als Erstes Genugtuung darüber, dass sie dahintergekommen ist. Als Zweites,
dass es sich, im Gegensatz zu allem Palaver über Untreue, gar nicht so schlimm
anfühlt. Und das gefällt ihr - es beweist eine gewisse Gelassenheit. Sie
überlegt, ob dieses Techtelmechtel nicht sogar Vorteile hat. Eigentlich könnte
sie Nigel jetzt bedenkenlos sofort verlassen, auch wenn ihr gar nicht danach
ist. Obendrein brauchte sie kein schlechtes Gewissen wegen möglicher eigener
Seitensprünge zu haben. Alles in allem, Nigels Affäre konnte sich als nützlich
erweisen.
Mit solchen Gedanken spielt
sie während einer Medienkonferenz im Hotel Cavalieri Hilton in Rom, bei der
sie auf dem Podium sitzt. Es geht um »Das Italienbild in der internationalen
Presse«, ewiger Grund zur Besorgnis in diesem Land. Kathleen ist sauer, dass
sie hier sitzen muss - so was gehört eindeutig zu den Pflichten des
Jungverlegers Oliver Ott. Aber der ist schon wieder verschollen und reagiert
auf keinen ihrer Anrufe. Also bleibt die Konferenz an ihr hängen, und die
Blattmacher müssen ohne sie klarkommen. Den Dauereingängen auf ihrem
BlackBerry nach zu schließen, kommen die aber nicht klar.
»Werden die Printmedien
überleben?«, will der Moderator von ihr wissen.
»Selbstverständlich«, erklärt
sie den Zuhörern. »Wir jedenfalls machen weiter, das kann ich Ihnen versichern.
Selbstverständlich durchleben wir zur Zeit eine Phase, in der sich Technologien
unvorhersehbar rasant weiterentwickeln. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir in
fünfzig Jahren noch im Format von heute erscheinen. Beziehungsweise, ich kann
Ihnen sagen, dass wir dann wahrscheinlich nicht mehr so erscheinen werden. Wir
werden uns auch in Zukunft um Innovation bemühen, so wie wir das ja auch heute
schon tun. Aber eins kann ich Ihnen garantieren: Nachrichten wird es weiter
geben, und seriöse Nachrichtenmedien werden immer Absatz finden. Denn egal,
wie man es nennt - Nachrichten, Text, Content - Jemand muss berichten,
schreiben, druckfertig machen. Und ich will, dass wir darin weiterhin immer
besser werden, wie immer das Blatt dann aussieht. Wir haben in der internationalen
Presse eine Top-Position, und ich empfehle jedem, der diese kühne Behauptung
anzweifelt, unsere Zeitung einen Monat lang zu kaufen. Oder noch besser -«,
kleiner Trailer in der Stimme, komplizenhaftes Lächeln ins Publikum, Pause, »-
noch besser, ein Zweijahresabo zu erwerben. Denn spätestens dann ist Ihnen
klar, warum unsere Auflage steigt.«
Das Publikum lacht höflich.
»Mein Job besteht darin, eine Zeitung zu machen, die in ihrem Markt eine
Spitzenstellung hat. Wenn wir das schaffen, kommen auch die Leser. Wer von
Ihnen die Weiterentwicklung
Weitere Kostenlose Bücher