Rachmann, Tom
Journalistenwelt, Junge,
Junge. Doch - du machst nützliche Arbeit. Harte Arbeit. Nicht so Blabla wie
ich. Sondern mit Kriterien. Die hast du nämlich. Und eine Ahnung davon zu
kriegen, wie du das machst, das hat mir gefallen. Das war ein richtiges Vergnügen
für mich. Zu sehen, wie weit du es gebracht hast.«
»Sei nicht albern. Du hast den
Artikel geschrieben. Und denk mal dran, wie schnell du den fertig hattest.
Profischreiber brauchen für
ein Stück manchmal Tage, sogar Wochen, Monate. Stell dir vor, du investierst
wirklich mal Zeit ins Schreiben? Ist das nicht eine Anregung? Nach Hause zu
fahren und an einer etwas längerfristigen Sache zu arbeiten?«
»Es ist mir nicht gegeben«, sagt
Jimmy. »Und ich möchte auch nicht mehr an deinem Rockzipfel hängen. Ich nutze
dich aus. Habe ich immer. Deine Großzügigkeit. Schon als ich bei dir am
Riverside Drive auf dem Boden schlafen durfte. Ohne je einen Cent Miete zu
zahlen, in all den - wie vielen Jahren?«
»Du warst nicht mein
Untermieter, du warst mein Freund. Du hast mir nichts geschuldet.« Jimmy
lächelt. »Mr Herman Cohen, Sie haben einen schrägen Blick auf gewisse Dinge.«
Beim Gehen steckt Herman noch
einen Stapel Visitenkarten des Restaurants ein und legt Jimmy die Hand auf die
Schulter. Auf der Straße macht er einen Riesenwirbel bei der Suche nach Taxis,
bloß um den Kloß im Hals zu verbergen.
Am nächsten Tag auf dem
Flughafen Fiumicino erwähnt Jimmy, dass er vielleicht wieder nach Arizona
zieht. Seine Adoptivtochter, inzwischen über dreißig, wohnt in Tempe. Sie
arbeitet als Grundstücksmaklerin und lebt allein. Ihr wäre ein bisschen
Gesellschaft lieb.
Herman hört zu und malt sich
aus, wie sein entschwindender Freund dort leben wird. Er und Jimmy sind nicht,
wie er immer geglaubt hatte, ein und derselbe Mensch in unterschiedlichen
Ausführungen, er selbst die Mittelklasse-Version und Jimmy der Superlativ. Sie
sind sogar sehr verschieden: Herman würde niemals zu seiner Tochter ziehen,
niemals mit fündundsechzig bankrott sein und niemals ohne eigenes Dach über
dem Kopf dastehen. Für ihn ist die Vorstellung von Ruhestand grotesk - dafür
stochern seine Finger noch immer viel zu gut in der Luft herum, um der Zeitung
Vertrauenswürdigkeit einzuimpfen.
Sie verabschieden sich vor der
Sicherheitsschleuse, und Herman schlendert zum Ausgang. Aber vor den Gleittüren
hält er inne. Vielleicht braucht ihn Jimmy ja noch für irgendwas? Wenn es da
jetzt ein Problem gibt?
Er geht wieder zurück und
sieht den alten Freund in der Schlange vor dem Sicherheitscheck. Jimmy schiebt
sein Handgepäck vor sich her, hat das Jackett über den Unterarm gelegt. Er
gähnt - er ist aus dem Jetlag gar nicht rausgekommen. Er wird von hinten
angerempelt, streicht sich über die Stirn, brummelt etwas. Er hat nur noch
wenige Haare, kleine Schneewehen über den Ohren. Seine Lider hängen schwer,
seine Ohrläppchen sind lang. Wie liebend gern hat Herman dieses Gesicht zum
Lachen gebracht, all die Jahre! Und wie schmal ist es geworden. Ein spiddeliger
Hals, der im Kragen schlenkert, ein Bauch, der sich bis fast an die Wirbelsäule
eingezogen hat. Die Schlange bewegt sich zentimeterweise vorwärts, dann endlich
ist Jimmy dran. Mühsam hievt er seine Tasche auf das Band, und Herman zuckt es
unwillkürlich in den Schultern, am liebsten würde er mit anfassen, um die
Tasche hochzukriegen. Jimmy hebt die Arme, lässt sich scannen, nimmt seine
Tasche wieder an sich und geht aus dem Bild.
Herman fährt langsam zurück
nach Monteverde. Hier, im blauen Mazda, lässt er alles Revue passieren - Miriam
(er lächelt), ihrer beider Tochter (eine tolle junge Frau), die Enkelkinder
(zwei so ganz eigene Persönlichkeiten), diese unglaublichen Jahre in Rom
(Miriam war damals zu Recht so entschieden für den Umzug), seine Zufriedenheit
bei der Zeitung (ich war nützlich). All das war etwas unglaublich Überraschendes
- er war auf ein unglückliches Leben gefasst gewesen, und es hatte sich als das
Gegenteil entpuppt. Das ist schier nicht zu glauben.
Als Miriam wieder da ist,
schwärmt sie von der Reise nach Philadelphia und fuhrt sofort sämtliche Fotos
in ihrer Digitalkamera vor. Herman und sie sind völlig vertieft in Geschichten
über die Enkelkinder, von Jimmys Besuch ist kaum die Rede. Plötzlich dreht sich
Miriam auf dem Sofa um und sieht ihn an.
»Was?«, fragt er argwöhnisch.
»Was ist denn?«
»Ich dachte nur gerade, wie
gut du aussiehst.«
»Du meinst, wie fett ich
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