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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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des Blattes seit meiner Übernahme der Chefredaktion
im Jahr 2004 mitverfolgt hat, der weiß um die einschneidenden Veränderungen
der letzten Jahre. Weitere sind geplant, und es ist ganz offen und ehrlich eine
große Herausforderung, an all dem teilzuhaben.«
    Ganz offen und ehrlich? Die
Zeitung ist nun wirklich nicht auf dem neuesten Stand der Technik - sie hat
nicht einmal eine Website. Und die Auflage steigt auch keineswegs. Die
Jahresbilanz ist katastrophal, die Verluste werden Jahr für Jahr größer, die
Leser werden immer älter und sterben aus. Aber Kathleen hat sich auf dem Podium
gut geschlagen. Die Zuhörer applaudieren, bevor sie ans Büfett eilen, und sie
verabschiedet sich von den Veranstaltern. »Entschuldigen Sie, ich wäre gern
noch geblieben, aber so ist das Leben bei einer Tageszeitung.«
    Auf dem Weg zur Garderobe
spricht sie ein chinesischamerikanischer Student aus dem Publikum an. Er
stellt sich als Winston Cheung vor, tupft sich die schweißnasse Stirn trocken,
wischt die Brille und spult dann seine sämtlichen akademischen Referenzen ab.
Er kommt nicht auf den Punkt, also übernimmt sie das. »Schön«, unterbricht sie
ihn, »und Ihr Schlussgag heißt: >Haben Sie einen Job für mich?<
Primatologie studieren Sie, sagten Sie? Aha, dann nehme ich mal an, Sie möchten
in ein Wissenschaftsressort. Das wir aber nicht haben. Falls Sie aber ganz allgemein
am Nachrichtenmachen interessiert sein sollten, alle möglichen Medien suchen
händeringend Leute mit Sprachkenntnissen. Können Sie irgendwelche asiatischen
Sprachen?«
    »Mein Eltern haben nur
Englisch mit mir gesprochen.«
    »Schade. Sprachen sind der
Schlüssel. Sie können wohl auch nicht, durch irgendeinen glücklichen Zufall,
Arabisch?«
    »Fehlerfrei nicht, nein.«
    »Das heißt, fehlerhaftes
Arabisch können Sie schon?«, fragt sie nach. Dieser Winston Cheung ist einfach
ein Non-Starter - keine Erfahrung, keine Fremdsprachen, und wie der
herumzappelt. Sie muss ihn dringend loswerden. »Passen Sie auf, wenn Sie uns
was schicken möchten - ganz unverbindlich -, dann sehen wir uns das gern mal
an.« Sie rattert Menzies E-Mail-Adresse herunter und flüchtet in die Garderobe.
    Auf dem Weg zum Ausgang tippt
ihr jemand auf die Schulter. Sie fährt herum, denkt gereizt, schon wieder
Winston Cheung. Aber der ist es nicht.
    Sie tritt verblüfft einen
Schritt zurück. »Ach, du bist es, Dario!«
    Dario de Monterecchi ist der
Italiener, mit dem sie in Rom zusammengelebt hat, als sie um die zwanzig war.
Als sie Rom 1994 verließ, um als Reporterin nach Washington zu gehen, verließ
sie auch ihn. Und jetzt steht er vor ihr, grau melierte Schläfen, Tränensäcke,
immer noch leidlich gutaussehend, wenn auch mit erschlafften Gesichtszügen und
der schläfrigen Selbstaufgabe eines Familienvaters. »Entschuldige, dass ich
mich so anschleiche«, sagt er. »Hab ich dich erschreckt?«
    »Da musst du früher aufstehen.
Aber ich bin völlig überrascht. Mein Gott, ich kann nicht glauben, dass du's
bist. Wie geht's dir?«
    »Gut«, sagt er. »Und du warst
brillant vorhin. Ich bin schwer beeindruckt. Gehst du etwa schon?«
    »Leider, ja. Ich muss. Meine
Redaktion braucht mich«, sagt sie. »Übrigens, tut mir leid, dass ich mich nicht
gemeldet habe, seit ich wieder in Rom bin. Das war blöd. Du hast bestimmt
gehört, dass ich wieder hier bin, oder?«
    »Natürlich.«
    »Von wem?«
    »Gerüchteweise - du weißt
doch, wie klein Rom ist.«
    »Verrückt, da kreuzt plötzlich
ein Stück Privatleben auf, gerade wenn ich auf Profi gepolt bin. Das bringt
mich ganz schön aus dem Takt. Vielleicht glaubst du es mir nicht, aber ich
wünschte, ich müsste mich jetzt nicht schon auf den Weg machen.«
    »Nicht mal Zeit für eine
Mittagspause?«
    »Mittagspausen habe ich nicht,
leider. Die erste Ausgabe muss in ein paar Stunden raus. Wenn ich nicht da
bin, geht die Welt unter. Was machst du überhaupt hier bei dieser
Veranstaltung?«
    Er reicht ihr seine
Visitenkarte. »Oh nein!« Sie liest die Karte. »Ich dachte, ich hätte so was
gehört. Aber Berlusconi? Das ist bitter.«
    »Ich mache die Pressearbeit
für seine Partei, nicht für ihn.«
    Sie zieht skeptisch die
Augenbrauen hoch.
    »Ich war doch immer schon
konservativ«, sagt Dario, »vergessen?«
    »Klar, weiß ich. Ich weiß
noch, wer du bist.«
    »Na, was soll's«, sagt er,
»ich will dich nicht aufhalten.« Er küsst sie auf die Wange. Sie streicht ihm
über den Rücken. »Du musst mich nicht trösten.« Er lächelt.

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