Rachmann, Tom
bin.«
»Nein«, sagt sie,
»gutaussehend.« Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange, dann auf den Mund. »Ist
so. Und ich bin nicht die Einzige, die das findet.«
»Ach, habe ich neuerdings
Anbeterinnen?«
»Ich werd's dir nicht
verraten. Sonst brennst du womöglich durch.«
»Ich habe übrigens Suppe
gekocht.«
»Klar«, sagt sie amüsiert,
»weiß ich.«
Ein paar Monate später kommt
eine E-Mail von Jimmy. Eine lange, schwadronierende, voller Philosophierereien
und Gedichtstellen. Auch eine Art mitzuteilen, dass er in blendender
Geistesverfassung ist, bei seiner Tochter in Tempe, Arizona.
Herman ist aus irgendeinem
Grund, den er nicht benennen kann, verstimmt. Er findet auch keinen Grund
zurückzuschreiben, aber womöglich ist das der Grund für seine Verstimmung.
1960. Aventin, Rom
Ott hatte die Zeitung
aufgeschlagen auf dem Esstisch liegen und leckte einen Finger an; die
Medikamente, mit denen die Arzte ihn bedachten, hatten ihn ausgetrocknet. Er
blätterte durch die Seiten: Eichmann in Argentinien geschnappt, afrikanische
Kolonien erklären ihre Unabhängigkeit, Kennedy Präsidentschaftskandidat.
Er war stolz darauf, was aus
seiner Zeitung geworden war, aber traurig, dass er sie nur zu Hause in seiner
Villa lesen konnte und nicht in der Redaktion bei den anderen. Er war jetzt
schon wochenlang nicht mehr am Corso Vittorio gewesen. Betty und Leo hatte er
erzählt, er fliege in die USA, seiner Familie in Atlanta hatte er erzählt, er
sei in Italien unterwegs. Das Einzige, wohin er tatsächlich reiste, waren
Kliniken in London und Genf.
Die Symptome hatten sich in
den letzten Monaten verschlimmert: Blut, Schmerzen, Erschöpfung. Inzwischen
fand er das Badezimmer seiner Villa nur noch widerlich, den ganzen intimen
Ekel, der dort lauerte. Er wies die Köche an, ihm Steaks, Eier, Leberpasteten
zu servieren, und wurde trotzdem immer dürrer.
Ein Chirurg in London hatte
ihm die Hälfte seiner krebsbefallenen Innereien herausgeschnitten, aber das
brachte keine Besserung. Wieder zurück in der Villa, hatte er das ganze Personal
weggeschickt. Die Zeitung warf ihm jeden Morgen ein Bote vors Gartentor, Essen
brachte ihm alle paar Tage ein Hausmädchen vorbei. Ansonsten war er allein.
Ersetzte sich zum Waschen in
die Badewanne, die Seife zerkratzte ihm die Haut und darunter schlackerten die
Knochen. Beim Hinausklettern renkte er sich am Wannenrand fast die Arme aus.
Und im beschlagenen Spiegel sah er sich selbst, das dicke weiße Handtuch um die
knochig-dürren Hüften. Er war am Sterben.
Er ging durchs Haus, und das
Badewasser tropfte hinter ihm her über die Dielen und die Treppen hinauf bis in
den ersten Stock. Ganz vorsichtig setzte er sich auf den Schreibtischstuhl -
sein Gesäß war nicht mehr von Fleisch gepolstert - und schlug die Briefmappe
auf.
Die erste Nachricht schrieb er
an seine Frau und seinen Sohn, die er vor Jahren in Atlanta zurückgelassen
hatte. »Liebe Jeanne, lieber Boyd«, begann er, »es ist wichtig zu erkennen,
und ich möchte ganz klar sagen ...«
Der Füllfederhalter blieb über
der Zeile hängen.
Er sah hoch zur Wand, auf eins
der Bilder, die Betty ausgesucht hatte, den Turner. Er ging hin und griff
hinter sich, als wollte er Bettys Handgelenk fassen, sie näher heranholen.
»Erzähl mir was über das Bild hier. Ich verstehe es nicht. Erklärt mir.«
Er ging zurück zum
Schreibtisch und fing einen neuen Brief an. Es war Zeit, fand er, gewisse Dinge
zu erklären.
Tage vergingen, die Zeitungen
stapelten sich vor dem Gartentor. Die Frau, die Ott das Essen brachte, wurde
stutzig, dass sie nicht reingeholt worden waren. Sie besaß einen Schlüssel für
die Villa. »Mister Ott?«, rief sie. »Mister Ott?«
Seine Angehörigen hatten wider
alle Wahrscheinlichkeit immer mit seiner Rückkehr nach Atlanta gerechnet. Jetzt
durften sie nicht einmal seinen Leichnam heimholen. Rechtlich hatten sie keine
Chance: Ott hatte testamentarisch verfügt, auf dem protestantischen Friedhof
von Rom beerdigt zu werden. Sie wollten einfach nicht glauben, dass das
wirklich sein Wunsch gewesen war, also boykottierten sie die Begräbnisfeier in
Rom und zogen in Atlanta eine Gegenzeremonie auf.
Die nächste Ausgabe der
Zeitung erschien mit einer schwarz geränderten Titelseite und einer
höchstpersönlichen Würdigung ihres Gründers durch den Redakteur für die Seite
eins. Leo schickte Cyrus Otts Bruder Charles einen Kondolenzbrief (er reagierte
nicht) und sandte einen zweiten hinterher mit
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