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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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sie wird aber nur von den
beiden bewohnt. Sie ist sparsam möbliert, auf Kathleens Wunsch, Chromsessel im
Wohnzimmer, Granit im Badezimmer, ein Gasherd mit passender Dunstabzugshaube in
der Küche. Das einzige dekorative Element sind gigantische gerahmte
Schwarzweißfotos an den Wänden in allen Räumen. Jedes Foto thematisiert auf
irgendeine Art den jeweiligen Raum.
    Ein riesiges Foto in der Küche
zeigt Köche aus dem Luk Yu Tea House in Hongkong beim Teigtaschenfüllen. Im
Esszimmer hängt ein gewaltiges Bild der leeren Tische im El Bulli an der Costa
Brava. Im Salon sieht man das Stockholmer Herrenhaus Skogaholm Herrgärd von
innen. Im Badezimmer brandet der Ozean in der Nähe der Antarktis ...
    »Auch eins?« Er schenkt ihr
ein Glas voll. »Was trinken wir denn heute?«
    Er hält ihr die Flasche hin
und liest vor: »Montefalco. Caprai. 2001.« Er steckt die Nase ins Glas.
    Sie stürzt ganz unzeremoniell
einen Schluck hinunter. »Nicht schlecht, aber auch nicht grandios«, sagt sie.
»Du bist bestimmt am Verhungern. Sorry, dass du warten musstest. Soll ich uns
Wasser holen?«
    »Erlaub es mir, Pascha.«
    Nigel hat die Kanzlei in
Washington, D. C., an den Nagel gehängt, als sie vor über zwei Jahren nach Rom
zogen. Er genießt das neue Leben: Er liest jeden Unsinn im Internet, kauft
Lebensmittel vom Feinsten, lästert beim Abendessen über die Regierung Bush und
trägt seine Rolle als Hausmann wie eine Ehrennadel für liberale Haltung. Um
diese Uhrzeit ergeht er sich normalerweise in Tiraden: Crack ist eine Erfindung
der CIA, Cheney ein Kriegsverbrecher, und hinter dem Angriff am 11. September
stecken die Agenten der großen Ölfirmen. (Er erzählt einen Haufen Mist über
Politik. Einmal in der Woche muss Kathleen ihn intellektuell plattwalzen, sonst
wird er unerträglich.) Heute Abend allerdings hält er sich zurück. »Guten Tag
gehabt?«, fragt er.
    »Hm, ja, nicht schlecht.« Er
ist so durchschaubar, denkt sie belustigt. Er hat eindeutig etwas angestellt,
und jetzt windet er sich. Die kleine Engländerin - Nigel traf sich einmal in
der Woche mit ihr, um über das Versagen der Linken zu diskutieren. Und mit
einem Mal erwähnte er ihren Namen nicht mehr. Soweit Kathleen bekannt war,
versagte die Linke munter weiter. Es war also wohl zum Akt gekommen.
    Trotzdem, denkt Kathleen,
während sie ihr Ossobuco genießt und sich über Nigels scheinheiliges Gesicht
amüsiert, das fast in dem tiefen Weinglas verschwindet, furchtbar schlimm ist
das nicht. Falls es sich zu einer echten Affäre auswüchse, würde sie
allerdings sauer werden, denn das würde ihre Beziehung aus den Angeln heben.
Aber noch fühlt es sich nicht so an. Nigel ist eher ein heimlichtuerischer
Hurenbock als ein ehezertrümmernder Betrüger. Und wenn sie das Ganze einfach
ignoriert, was dann? Es wird sich verlaufen.
     
    Am nächsten Tag in der Redaktion klingelt das Telefon.
»Halli-hallo, da bin ich wieder.«
    »Ja bitte, wer ist da?«
    »Kath, ich bin's.«
    »Ach Gott - Dario, ich hab
dich nicht erkannt.«
    »Ich wollte dich zum
Mittagessen einladen. Die Rechnung geht auf Forza Italia.«
    »Wenn das so ist, eindeutiges
Nein«, sagt sie. »Nein, war ein Witz, ich würde schrecklich gern. Aber ich habe
irrsinnig zu tun. Ich hab's dir ja gesagt, Mittagspausen gibt's bei mir nicht,
ein Trauerspiel.« Andererseits, überlegt sie, Kontakt zu Berlusconis Leuten
könnte nützlich sein. Der Sturz der Regierung Prodi steht kurz bevor, das
bedeutet vorgezogene Wahlen, ein guter Draht zu Dario könnte sich da als
praktisch erweisen. »Aber ich fand's schön, dich zu sehen. Was hältst du von
einem vorgezogenen Aperitiv?«
    Sie treffen sich im
Gartenlokal des Hotel de Russie. Der Innenhof, gepflastert mit echten alten
Sampietrini und Kaffeetischchen unter Sonnenschirmen, wirkt wie eine den
zahlenden Gästen vorbehaltene römische Privatpiazza.
    Kathleen studiert die
Getränkekarte. »Wenn du dich danebenbenimmst«, sagt sie, »bestelle ich dir den
Pandschab-Gesundheitscocktail: Joghurt, Eis, rosa Himalayasalz, Zimt und
Selters.«
    »Oder wie wär's mit
Cohibatini?«, kontert er. »Wodka, Blätter von Virginiatabak, achtjähriger
Bacardi, Limonensaft und Corbezzolo-Honig.«
    »Tabakblätter? In einem
Getränk? Und was ist Corbezzolo-Honig?«
    »Ich als Langweiler«, sagt
Dario, »nehme Sauvignon.«
    »Ich bin genauso langweilig.«
    Sie klappen die Karten zu und
bestellen.
    »Merkwürdiges Wetter«,
konstatiert Dario. »Fast tropisch.«
    »Im November noch

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